Strategy Sunday: Glaubensfragen

Religion spielt in der US-Politik eine wichtige Rolle. Das hat vor allem historische Gründe: Unter den ersten Siedlern in den USA waren viele Flüchtlinge, die aufgrund ihres Glaubens – oder konkreter: der religiösen Verfolgung in ihrem Heimatland – in die Neue Welt aufgebrochen waren. Der Einfluss dieser Gründergenerationen ist heute noch spürbar. Etwa 9 von 10 US-AmerikanerInnen glauben an Gott und in den meisten Befragungen wünschen sich über 70 % der US-BürgerInnen einen „gläubigen“ US-Präsidenten. (Zum Vergleich: In Österreich bejaht etwa die Hälfte der Bevölkerung die Frage, ob sie an einen Gott glaubt – und die zweiten Frage habe ich noch in keiner österreichischen Meinungsumfrage gelesen.)

Ein Agnostiker wie Heinz Fischer wäre als Staatsoberhaupt in den USA daher kaum denkbar. Dabei ist die Trennung zwischen Kirche und Staat in den Vereinigten Staaten weitaus strikter als hierzulande. Kirchensteuern wären dort z. B. undenkbar und weder Gott noch Glaube sind in der Verfassung zu finden – dafür aber das „First Amendment“, in dem es wörtlich heißt: „Congress shall make no law respecting an establishment of religion, or prohibiting the free exercise thereof“.

Der Grazer Theologe Markus Löhnert erklärt diesen Widerspruch (in einem erst kürzlich erschienen „Der Standard“-Artikel) mit einem „staatsbürgerliches Religionsempfinden“, dass die Gründergenerationen im Bewusstsein der USA verankert haben: „Für einen guten Amerikaner gehört es sich einfach, religiös zu sein.“

God bless America

Dementsprechend müssen KandidatInnen für das höchste Amt im Staat die Festigkeit ihres Glaubens öffentlich belegen. Auch US-Präsident Obama legt viel Wert darauf, sich als vorbildlicher Christ darzustellen. Er beendet seine Reden stets mit der (seit Ronald Reagan wieder obligatorischen) Schlussformel „God bless America“, legte seinen Amtseid auf der Bibel von Abraham Lincoln ab, und erklärte in einer viel beachteten Stellungnahme „a Christian by choice“ zu sein. Damit versucht er auch, den religiösen Verschwörungstheorien und konservativen Attacken entgegenzuwirken, die gegen ihn gerichtet sind – stößt er doch aufgrund seines familiären Background, seiner Positionen zu Reizthemen wie Abtreibung oder gleichgeschlechtlichen Ehen bei der „religiösen Rechten“ naturgemäß auf wenig Gegenliebe.

Obama und seine Berater wissen nur zu gut, dass es angesichts der Grundstimmung in der amerikanischen Bevölkerung aussichtslos wäre, sich auf eine kontroversielle Diskussion über Glaubensfragen einzulassen. Weder eine strikt säkuläre Positionierung noch eine kritische Auseinandersetzung oder gar eine Ironisierung der fundamentalistischen Auswüchse auf evangelikaler Seite sind in den USA erfolgsversprechende Strategien. Vielmehr trachtet er danach, religiöse Werte im Sinne seiner Politik zu interpretieren und damit Orientierung in Sachfragen zu bieten. Veranstaltungen für religiös motivierte WählerInnen, Treffen mit Kirchenführern und die Teilnahme an Gottesdiensten zählen dementsprechend zum Grundrepertoire seiner Kampagne.

Die Demokraten haben ihre Lektion aus den US-Wahlen 2004 gelernt, bei denen George W. Bush (der übrigens jede Kabinettssitzung mit einem Gebet beginnen ließ) ohne die Mobilisierung der christlichen Fundamentalisten wohl kaum wiedergewählt worden wäre. Angesichts seiner möglichen republikanischen Herausforderer muss Obama danach trachten, dass „wedge issues“ wie Abtreibung, Schwulenehe oder Schulgebet nicht als politische Waffen gegen ihn gebraucht werden können.

Gott sei Dank

In Österreich ist die Trennung von Politik und Religion ein ungeschriebenes Gesetz – nicht zuletzt aufgrund des Verhaltens der Katholischen Kirche in der Zeit des Austrofaschismus. Versuche der (partei)politischen Einvernahmung werden von kirchlichen Würdenträgern im Regelfall streng kritisiert. Die Katholische Kirche beruft sich dabei u. a. auf das (auch heute noch sehr lesenswerte) „Mariazeller Manifest“ von 1952, in dem sie dem „Staatskirchentum“ eine klare Absage erteilte und die Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit allen politischen Lagern erklärte.

Wenn heimische PolitikerInnen versuchen, mit ihrer Religiösität zu punktet, mutet das zumeist eher skurill an – erinnern wir uns nur an die schwarz-blaue Bundesregierung, die nach dem Ende der EU-Sanktionen im September 2000 nach Mariazell pilgerte, an die damalige ÖVP-Generalsekretärin Maria Rauch-Kallat, die „dem lieben Gott“ für den ÖVP-Wahlsieg 2002 dankte oder an Heinz-Christian Straches eher peinlichen Auftritt als Kreuzritter. Derartige Auftritte sind hierzulande also meist Eigentore. Gott sei Dank, bin ich da fast geneigt zu sagen …

Dieser Beitrag ist von Stefan Bachleitner

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3 Rückmeldungen zu “Strategy Sunday: Glaubensfragen”

  1. Hanno Settele sagt:

    Obama muss danach trachten, dass wedge issues “gegen ihn gebraucht werden können”? Hat Dein PC da ein “nicht” verschluckt oder brauch ich – schon wieder – Nachhilfe?

Trackbacks / Pingbacks

  1. [...] gefährlich zu werden, denn kein US-Präsident kann sich einen Konfrontationskurs mit der Religiösität im Land leisten. Obama machte deshalb einen [...]


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