Strategy Sunday: Außenpolitik

Es gibt in jedem Wahlkampf Ereignisse, die selbst mit der besten Planung und Vorbereitung nicht vorhergesehen werden können – und den Verlauf einer Kampagne maßgeblich beeinflussen können. Die vergangene Woche ist ein Beispiel dafür.

Für Kettenreaktionen wie diese hat keine Kampagne ein Drehbuch in der Schublade: In Kalifornien dreht jemand ein islamfeindliches Video und stellt es auf YouTube. Aufgebrachte Muslime aus aller Welt protestieren daraufhin vor US-Botschaften. In Kairo eskaliert die Situation und die Botschaft wird von Demonstranten gestürmt. Und im libyschen Bengasi nutzen militante Gruppen diese Stimmung für eine bewaffnete Attacke, bei der US-Botschafter Chris Stevens und drei weitere US-Bürger getötet werden.

Es ist vollkommen klar, dass ein derart schwerwiegender Vorfall – 1979 war das letzte Mal ein US-Botschafter im Dienst getötet worden – nicht ohne Reaktion des Amtsinhabers und seines Herausforderers um das höchste Amt im Staat bleiben kann. Schließlich sind es vor allem die außenpolitischen Kompetenzen des US-Präsidenten, die dieses Amt zur mächtigsten politischen Funktion der Welt machen.

Außenpolitik? Not the economy, stupid?

An dieser Stelle ist ein kleiner Exkurs fällig, schließlich besteht hierzulande der Eindruck, dass Außenpolitik den US-WählerInnen relativ schnurz wäre. Wie sonst könnte es dazu kommen, dass dort immer wieder KandidatInnen populär sind, die in Sachen foreign policy schwerwiegende Wissenslücken aufweisen? Man stelle sich nur vor, wie es den Republikanern heute mit Herman Cain als Präsidentschaftskandidat gehen würde:

Es mag sein, dass politische Ausführungen über die nationalen Interessen der USA in Regionen, die auf der entgegengesetzten Seite des Planeten liegen, durchschnittliche WählerInnen in den Vereinigten Staaten eher langweilen – so wie die meisten ÖsterreicherInnen auch stärker am fußballerischen Können als an der geopolitischen Bedeutung Kasachstans interessiert sein dürften.

Der entscheidende Punkt ist, dass der US-Präsident über weitreichende Befugnisse im militärischen Bereich verfügt und damit im wahrsten Sinne des Wortes über Tod und Leben entscheiden kann. Und dort, wo es um das Leben von US-BürgerInnen geht, wird die sonst eher fade Außenpolitik zu einem hochbrisanten Thema – das nicht nur für Mitglieder der Streitkräfte und deren Angehörige höchst relevant ist.

Ein gewisses außenpolitisches Profil ist daher für jede/n Bewerber/in im Rennen um das Weiße Haus unverzichtbar (und wird aus genau diesem Grund im Rahmen der Vorwahlen abgetestet). Es ist also kein Zufall, dass Barack Obama seinem Herausforderer auf der letztwöchigen Convention der Demokraten mangelnde außenpolitische Erfahrung vorwarf (ein Kritikpunkt, mit dem er vor vier Jahren selbst zu kämpfen hatte):

Romney unter Druck

Mitt Romney steht also unter einem gewissen Zugzwang, außenpolitische Kompetenz an den Tag zu legen – zumal seine dafür vorgesehene Auslandstour nicht richtig rund lief. Dabei hat er bereits mit seinem (für Präsidentschaftskandidaten obligatorischen) Buch „No Apology“ daran gearbeitet, sich ein außenpolitisches Profil zu verpassen. Der Versuch, diese Positionierung in der aktuellen Situation zu verstärken, dürfte ihm allerdings eher geschadet haben.

CNN hat die Chronologie der Ereignisse minutiös dokumentiert. Am Donnerstag wurden im Laufe des Abends (US-Zeit) immer mehr Informationen über die Vorfälle in Kairo und Bengasi veröffentlicht. So wurde bereits der Tod eines US-Bürgers bestätigt, ohne dessen Identität bekannt zu geben.

Um 22.10 Uhr, es waren noch lange nicht alle Details des Vorfalls bekannt, verschickte das Romney-Camp eine Presseaussendung, in der die Obama-Administration – auf einer Linie mit der Kernbotschaft von „No Apology“ – scharf attackiert wurde:

„I’m outraged by the attacks on American diplomatic missions in Libya and Egypt and by the death of an American consulate worker in Benghazi. It’s disgraceful that the Obama Administration’s first response was not to condemn attacks on our diplomatic missions, but to sympathize with those who waged the attacks.“

Obwohl diese Aussendung eine Sperrfrist bis Mitternacht hatte, sprangen die Medien sofort darauf an. Die Kampagne sah sich rasch gezwungen, die Sperrfrist aufzuheben und ab 22.25 Uhr waren die Aussagen Romneys in allen Medien.

Wie man aus kleinen Fehler große macht …

Romneys Problem: Sein Camp hatte noch keinen vollständigen Überblick über die Abfolge der Ereignisse. Im Bemühen, rasch zu reagieren, wurde ein außerordentlich harter Vorwurf auf eine nicht sonderlich stabile Faktenbasis gestellt. Zwar hatte die US-Botschaft in Kairo tatsächlich versucht, die aufgeheizte Lage mit einer (indirekten) Distanzierung von dem in den USA gedrehten Film zu beruhigen (O-Ton: „firmly reject(s) the actions by those who abuse the universal right of free speech to hurt the religious beliefs of others“), doch das war vor der vorübergehenden Besetzung ihres Geländes und dem Anschlag in Bengasi. Dieses Detail passte aber nicht in das Storyboard der Romney-Kampagne – und wurde deshalb nicht ausreichend überprüft oder sogar bewusst weggelassen …

Am nächsten Morgen – inzwischen war klar, dass der US-Botschafter in Libyen getötet worden war – hätte Romney diesen Schnitzer noch relativ einfach korrigieren können. Mit dem Hinweis, dass politische Differenzen angesichts der aktuellen Ereignisse in den Hintergrund treten sollten, hätte er einen geordneten Rückzug antreten können. Doch statt auf Schadensminimierung zu setzen, blieb er im Angriffsmodus und bekräftigte seine Vorwürfe im Rahmen einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz:

Mit diesem Auftritt konterte sich Romney selbst aus, denn er vermittelte den (wohl zutreffenden) Eindruck, dass er aus einer menschlichen Tragödie politisches Kleingeld schlagen wollte. Ein derartiges Verhalten wird von den WählerInnen bestraft – was wohl auch jene Republikaner wissen dürften, die sich prompt von ihrem Präsidentschaftskandidaten distanzierten (oder zumindest versuchten, seine Aussagen zu relativieren).

Shoots first, aims later

Der Amtsinhaber ließ sich diese Steilvorlage nicht nehmen und kanzelte Romney mit einem guten Ratschlag ab – bei dem die Betonung eindeutig auf Schlag liegt:

Romney hat nun ein echtes Problem: Statt sein außenpolitisches Profil zu schärfen, hat er eine potenzielle Angriffsfläche eröffnet. Er droht damit in eine Diskussion zu geraten, die ihn daran hindert, sein Kernthema – die Ankurbelung der schwächelnden US-Wirtschaft – in den Mittelpunkt des Wahlkampfs zu rücken. Im Gegenteil: Nach der Verlegung US-Kriegsschiffen vor die libysche Küste könnte Libyen noch etwas länger die Schlagzeilen dominieren. Und Romney bleiben nur noch rund 50 Tage …

Dieser Beitrag ist von Stefan Bachleitner

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1 Rückmeldung zu “Strategy Sunday: Außenpolitik”

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  1. [...] ungeschickt agierenden Herausforderers. Nun haben aber die Kollegen von USA2012.at schon einen sehr schönen Beitrag zu dem Thema geschrieben, weshalb ich es heute einfach mal bei einem Lese-Tipp belasse. [...]


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