Parteitag im Hornissennest

Es gibt einen guten Grund, warum die Demokraten ihre nächstjährige Convention – jene Delegiertenversammlung, auf der Barack Obama offiziell zum Kandidaten seiner Partei gekürt wird – in der größten Stadt North Carolinas, Charlotte, abhalten werden. Sollte es Obama 2012 erneut gelingen, die 15 Wahlmänner dieses Bundesstaats zu gewinnen, stehen seine Chancen für eine zweite Amtszeit nicht schlecht.

North Carolina zählt zu den 13 Gründungsstaaten der „United States“ und rühmt sich gerne mit seiner Eigenwilligkeit. Angeblich soll die erste Unabhängigkeitserklärung während des Amerikanischen Unabhängigkeitskriegs in Charlotte (heute als Sitz der „Bank of America“ übrigens der – nach New York – zweitwichtigste Finanzplatz der Vereinigten Staaten) abgegeben worden sein. Dieses Ereignis ist zwar nicht belegt, hindert North Carolina aber nicht daran, das Datum dieser Erklärung in seiner Flagge zu führen. Die Bewohner von Charlotte galten in dieser Zeit jedenfalls als so aufständisch, dass ein britischer General den Ort als „Hornissennest“ bezeichnete – ein Spitzname, den die Stadt noch heute mit Stolz trägt.

Etwas besser dokumentiert als die Mecklenburg Declaration of Independence ist, dass North Carolina 1776 als erste Kolonie ihre Unabhängigkeit von der britischen Krone erklärte und damit ihre Abgeordneten zum zweiten Kontintalkongress ermächtigte, sich von England loszusagen. Auch dieses Datum ziert natürlich die Flagge North Carolinas.

Das nach dem englischen König Charles I. benannte Land hat zwar den Norden im Namen, ist aber den Südstaaten zuzurechnen. Seine Wirtschaft stützte sich weniger stark auf die Sklaverei als jene des „Deep South“, doch angesichts des bevorstehende Einmarschs der Nordstaaten in den „Schwesternstaat“ South Carolina schloss sich North Carolina (nach einigem Zögern) als letzter Staat der Konföderation an.

So wie alle Südstaaten war auch North Carolina bis in die späten 1960er-Jahre eine Hochburg der Demokraten. Erst die „Southern Strategy“ Richard Nixons verschob die Kräfteverhältnisse im Süden zugunsten der Republikaner. Seit 1968 gewann daher in North Carolina nur zwei Mal ein Präsidentschaftskandidat der Demokraten: 1976 der Südstaatler Jimmy Carter (wobei der ehemalige Gouverneur des Nachbarstaats Georgia damals maßgeblich von der Watergate-Affäre profitierte) und dann erst wieder Barack Obama im Jahr 2008 – mit einem hauchdünnen Vorsprung von 0,33 %.

Aufgrund dieses Wechsels steht North Carolina bei den Präsidentschaftswahlen im kommenden Jahr auf der Liste der „swing states“ – obwohl es derzeit ganz so aussieht, als würde der „Tar Heel State“ 2012 zurückschwingen. Ein Erfolg der Republikaner wäre keine Überraschung, schließlich konnte sich George W. Bush bei seiner Wiederwahl im Jahr 2004 die Wahlmännerstimmen von North Carolina sogar sichern, obwohl mit John Edwards ein populärer Senator aus North Carolina als Vizepräsidentschaftskandidat der Demokraten angetreten war.

Trotz dieser südstaatlichen Ausrichtung spielten die Demokraten innerhalb des Bundesstaats – der etwa 1,6 Mal so groß wie Österreich ist und rund 1,1 Mal so viele Einwohner hat – stets eine starke Rolle. Doch die (nicht zuletzt aufgrund des Obama-Booms) 2008 gewählte demokratische Gouverneurin von North Carolina, Beverly „Bev“ Perdue, dürfte mit einigen Sorgen auf das kommende Jahr blicken: Sie zählt nach Ansicht zahlreicher Beobachter zu den am meisten gefährdeten KandidatInnen für eine Wiederwahl. Derzeit liegt sie in den Umfragen deutlich hinter dem voraussichtlichen Kandidaten der Republikaner, Pat McCrory. Der ehemalige Bürgermeister von – erraten – Charlotte konnte bei den Gouverneurswahlen 2008 immerhin 46,88 % der Stimmen erhalten und hat gute Chancen, nach 20 Jahren der erste republikanische Gouverneur in N. C. zu werden.

Darauf weisen auch die dramatischen Ergebnisse der „mid term elections“ 2010 hin, bei denen die Demokraten erstmals seit 1896 beide Kammern der gesetzgebenden Generalversammlung von North Carolina verloren. Nicht zuletzt der Umstand, dass Politiker seit Jänner 2010 von Unternehmen unbegrenzt finanziell unterstützt werden können, verschaffte den Republikanern dabei einen – vielleicht entscheidenden – Vorteil (auch orf.at berichtete darüber).

Doch North Carolina ist bekanntlich stur und es ist noch zu früh, um vorherzusagen, wessen Kampagne in North Carolina abheben wird. Überraschende Höhenflüge gehören schließlich zur Geschichte des Landes: Die Gebrüder Orville und Wilbur Right unternahmen am 17. Dezember 1903 ihren ersten motorisierten Flug in North Carolina. Auf vielen Autokennzeichen des Landes findet sich daher heute der stolze Hinweis „First in Flight“.

Dieser Beitrag ist von Stefan Bachleitner

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  1. [...] gibt 9 Staaten, die John Kerry in 2004 verloren und Barack Obama 2008 gewonnen hat: Florida, Ohio, North Carolina, Virginia, Indiana, Colorado, Iowa, New Mexico and Nevada. Diese Staaten wählen 112 –  weit über [...]

  2. [...] scheute er sich aber nicht, eine Gesetzesinitiative gegen gleichgeschlechtliche Ehen im swing state North Carolina entschieden [...]

  3. [...] auf dem republikanischen Vorwahlkalender: North Carolina, West Virginia und Indiana. Über North Carolina haben wir schon mal etwas geschrieben, diesmal wollen wir uns daher Indiana etwas genauer ansehen. [...]

  4. [...] ist hingegen die Wahl des Veranstaltungsort der demokratischen Convention, denn im Südstaat North Carolina wäre ein Erfolg der Republikaner keine Überraschung. Barack Obama war zwar bei den letzten Wahlen [...]

  5. [...] rundherum vorzubereiten. Diese ständige Präsenz ist ein Grund, warum der Ort der Conventions so strategisch gewählt wird: Noch bevor andere Field Offices geöffnet sind, ist dort eine Armada an MitarbeiterInnen vor Ort, [...]


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