
Die Politik ist keine strenge Wissenschaft und dennoch gelten auch in ihr gewisse Naturgesetze. Der Begriff „Momentum“ zeigt, was Physik und Wahlkampagnen gemeinsam haben.
Die Fotos sagen alles. Um zu erkennen, wie es um das Schicksal eines Kandidaten steht, braucht man sich nur anzuschauen, welche Bilder von ihm in den Zeitungen abgedruckt werden. Obwohl es von jedem Politiker solche und solche Fotos gibt, werden Favoriten stets in einer souveränen Siegerpose abgebildet, gerät ein Kandidat hingegen unter Druck, werden jene Aufnahmen aus dem Archiv gekramt, die ihn mit einem gequälten Gesichtsausdruck zeigen.
Solche Bilder sind mächtig, denn sie verstärken – wie eine selbsterfüllende Prophezeiung – die gute oder schlechte Position einer Kampagne. Wer sich keine Meinungsumfragen leisten kann, braucht daher nur die Fotos zu zählen, um die politische Großwetterlage einzuschätzen. Dabei gilt eine einfache Regel: Der Kandidat, der am häufigsten lächelnd abgebildet ist, hat die größten Chancen, auch am Tag nach der Wahl von den Titelseiten zu strahlen.
Aus diesem Grund ist es für jede Kampagne brandgefährlich, wenn ihr Fehler passieren, die sich in negativen Medienberichten niederschlagen – schließlich ist die Verliererstraße eine Einbahn, aus der man nur schwer wieder herauskommt. Herman Cain und Rick Perry können ein Lied davon singen. Gelingt es einer Kampagne hingegen, die Aura des Erfolgs zu verströmen, darf sie sich über zusätzlichen Rückenwind freuen – wie derzeit Newt Gingrich.
Das Zauberwort
Für diesen Zustand gibt es einen Begriff, der es inzwischen sogar geschafft hat, in den deutschen Sprachgebrauch einzufließen: „Momentum“. Dieses Zauberwort umfasst alles, was sich ein Kandidat für seine Wahlkampagne wünscht – Dynamik, Schwung und Durchschlagskraft. Kampagnen ohne Momentum laufen dem Erfolg hinterher, während solche mit Momentum ihm mit offenen Armen entgegengehen. Während sie stetig an Strahlkraft gewinnen, treten ihre Schwächen in den Hintergrund und verblassen angesichts des kontinuierlich wachsenden Zuspruchs. Ein tiefgründiges Kärntner Sprichwort bringt dieses Phänomen auf den Punkt: „Wenn’s laaft, dann laafts“. Es entsteht der Eindruck, dass Kampagnen mit Momentum durch nichts mehr gestoppt werden können.
Doch wie bekommt eine Kampagne Momentum? Um diese Frage zu beantworten, muss man verstehen, was Momentum eigentlich ist. Der Begriff kommt ursprünglich aus der Physik und ist hierzulande unter dem schnöden Wort „Impuls“ bekannt. „Die physikalische Größe Impuls, auch als Bewegungsgröße oder Bewegungsmenge bezeichnet, beschreibt die Bewegung eines massebehafteten Körpers“ steht dazu auf Wikipedia. In der klassischen Mechanik ist die Größe eines Impulses das Produkt von Masse und Geschwindigkeit – eine Formel, die wohl auch in der Politik eine gewisse Gültigkeit hat. Ein großer Tanker verfügt selbst bei niedriger Geschwindigkeit über mehr Momentum als ein kleines Speedboot. Aber wehe, der Tanker kommt nicht in Fahrt – dann ist sein Momentum gleich Null.
Die Erfolgsformel
Um Momentum aufzubauen, braucht eine Kampagne möglichst drei Dinge: Sie muss zeigen, dass sich ihre Masse stetig vergrößert (also z. B. die Zahl der UnterstützerInnen wächst), sie muss dafür sorgen, dass ihre Geschwindigkeit als steigend wahrgenommen wird (z. B. indem sie die Taktzahl ihrer Erfolgsmeldungen erhöht) und dabei darf sie nach Möglichkeit ihre Richtung nicht ändern (weil jeder Kurswechsel das Momentum verringert). Das klingt vielleicht einfach, ist aber letztlich – so wie die Physik – eine komplizierte Angelegenheit.
Momentum gewinnt, wem es am besten gelingt, der eigenen Kampagne immer und immer wieder einen öffentlich wahrnehmbaren Schub zu geben – gestern eine gewonnene TV-Debatte, heute ein wichtiges Endorsement, morgen ein überraschend erfolgreicher TV-Werbespot. Wenn es Newt Gingrich nun schafft, jede Woche einen kleinen Coup (wie z. B. das Endorsement des „New Hampshire Union Leader“) zu landen, könnte er bei den early primaries punkten und mit diesem Momentum seinen Weg zur republikanischen Nominierung frei machen.
Momentum verliert hingegen, wer sich auf dem Erfolgspfad verstolpert – wie z. B. der texanische Gouverneur Rick Perry. Der Aufbau von Momentum ist also eine Frage der strategischen Ausrichtung, des Timings und der Dramaturgie – kombiniert mit jener Umsicht, die dafür sorgt, dass gravierende Fehler vermieden werden.
Artikelbild by Flo12 (Creative Commons)
A propos Foto: Die Illu zeigt einen Snooker-Tisch. Nun ist Snooker zwar ein sehr taktisch geprägtes Spiel, in den USA aber nicht besonders populär (im Gegensatz zum Rest der Welt) Passender wäre wohl das Bild eines Pool-Tisches. Was aber der Qualität dieses Beitrags (wie auch der übrigen) keinen Abbruch tut.
Mir ging es ja mehr um die Physik …