Virginia: Der Südstaat rund um die Hauptstadt

Es gibt 9 Staaten, die John Kerry 2004 verloren und Barack Obama 2008 gewonnen hat: Florida, Ohio, North Carolina, Virginia, Indiana, Colorado, Iowa, New Mexico and Nevada. Diese Staaten wählen 112 – weit über ein Drittel der notwendigen 270 – Wahlmenschen im Jahr 2012. Im Laufe der nächsten Monate werden wir sie vorstellen. Heute: Virginia.

Virginia ist die Heimat von acht Präsidenten*. Kein Wunder: die Geschichte Virginias ist die Geschichte der USA. Noch bevor die Vereinigten Staaten überhaupt vereinigt waren, war Virginia bereits Amerika: Als einer von 13 Staaten erklärte es die Unabhängigkeit von Großbritannien und ratifizierte kurz danach eine gemeinsame Verfassung, die Articles of the Confederation.

Vom Unabhängigkeitskrieg gegen die Engländer zeugt unter anderem Williamsburg, Virginia, von wo der letzte britische Gouverneur vertrieben wurde. Es ist noch heute eine große inlandstouristische Destination: Neben der zweitältesten amerikanischen Uni „William and Mary“ befindet sich dort „Colonial Williamsburg“, das Disneyland des Amerikanischen Unabhängigkeitskriegs.

Noch während des Kriegs, dessen entscheidende Schlacht auf Virginias Boden von einem General aus Virginia mit dem Namen George Washington geschlagen wurde, war schnell klar, dass die Verfassung unzureichend ist. So machte sich der Tabakunternehmer, Sklavenhalter, Politiker und – erraten – Virginianer James Madison daran, eine neue Verfassung zu schreiben. Virginia war es dann auch, das die Südhälfte der neu zu gründenden Hauptstadt Washington, DC, zur Verfügung stellte (die andere Hälfte kam aus Maryland) – allerdings nur für etwa 30 Jahre. In den Vorwehen des Bürgerkriegs nahm Virginia nach Streitigkeiten um die Sklavenfrage im District seine Hälfte über dem Potomac zurück. Im Bürgerkrieg löste sich der Staat, dessen Wirtschaft hauptsächlich von Plantagen (und dadurch von Sklavenarbeit) lebte, im April 1861 als zehnter von der Union**. Als Grenzstaat war Virginia ein Hauptaustragungsort des Kriegs: In keinem anderen Staat gab es mehr Schlachten, dessen Felder noch heute von stolzen amerikanischen Touristen befahren werden. John Wilkes Booth war zwar kein Virginianer, aber er rief das state motto „Sic semper tyrannis“, als er 1865 Abraham Lincoln erschoss.

Außerdem trug Virginia die Hauptstadt (Richmond) und einen der wichtigsten Generäle (Robert E. Lee) zum Krieg bei. Letzterer hatte übrigens sein Anwesen an der durch die Rücknahme geschaffene Grenze zu DC – das prompt von einer Nordstaatenarmee besetzt und noch während des Kriegs zum heute berühmten Soldatenfriedhof Arlington erklärt wurde. Etwa 100 Jahre später, 1943, übersiedelte das Verteidigungsministerium in ein eigens gebautes, fünfeckiges Gebäude in die Nachbarschaft.

Nordstaat und Südstaat

Spätestens seitdem ist Nordvirginia*** ein Magnet für die Rüstungsindustrie: Boeing, Northrup Grumman, EADS, die National Rifle Association, kurz: jede Firma, die hofft, mit dem Pentagon Geschäfte zu machen, hat ihr Hauptquartier dort. In der Gegend zwischen Stadtgrenze und Beltway, dem Umfahrungsgürtel DCs****, wechseln sich Firmenhochhäuser, Shoppingmalls und suburbane Einfamilienhausflächen ab. In den Einfamilienhäusern leben gut gebildete (80,7 % haben einen Bachelor- oder höheren Abschluss), gut verdienende (fast jede/r Zweite hat ein Jahreseinkommen über 100.000 US-Dollar) Menschen, die tendenziell demokratisch wählen. Während Virginia 2004 bekanntlich Bush wählte, stimmte Fairfax County, der bevölkerungsreichste Bezirk von NoVa für Kerry. Zwei der drei Wahlkreise haben demokratische Abgeordnete und alle drei haben in einem sonst knappen Rennen für den Demokraten Jim Moran gestimmt.

Trotzdem ist seit 2009 Virginia wieder fest in Republikanischer Hand. Nur ein Jahr nach der Wahl Obamas wechselte der Swingstate jedoch wieder Farbe. Mit Bob McDonnel ist der Gouverneur wieder republikanisch – und wie. McDonnel ist anti-choice, pro-gun, anti-tax, pro-drilling, will die Ehe als Institution zwischen Mann und Frau in die Verfassung schreiben und bezeichnete in seiner Diplomarbeit arbeitende Frauen und Feministinnen als für die Gesellschaft schädlich. Außerhalb des Beltways, wo die Firmenhochhäuser aufhören und das Farmland beginnt, findet er mit diesen Positionen Resonanz. Rest-Virginia ist rural, geprägt von Tabak- und Soja-Landwirtschaft, Weingütern und stillgelegten Kohleminen im Südwesten. Die Armutsrate liegt je nach County zwischen 10 % und 15 %, im Süden bei fast 20 %. Selbst die Universitäten dieser Region sind keine Horte des Liberalismus. Im County mit der größten und durch einen Amoklauf 2007 auch in Europa bekannt gewordenen Universität Virginia Tech errang Bush eine Mehrheit.

Denn tatsächlich war Virginia bisher nur 2008 auf nationaler Ebene ein Swingstate. Üblicherweise wechselt er fast ausschließlich auf staatlicher Ebene die Farbe. Barack Obama war der erste Demokrat in den letzten zehn Präsidentschaftswahlen (sic!), der die Electoral Votes aus Virginia gewann. Wer zu faul ist nachzurechnen: Lyndon B. Johnson, 1964.

2012 wird also die Obama-Kampagne busweise Scharen an AktivistInnen vom fest in demokratischer Hand befindlichen Maryland und D.C. nach Virginia zu karren, um zu versuchen, die 13 Electoral Votes zu gewinnen. Denn der einzige andere republikanisch orientierte Bundesstaat der in Fahrweite dieser demokratischen Hochburgen ist, ist West Virginia – mit nur 5 Stimmen.

——

*) Die Präsidenten sind: Washington, Jefferson, Madison, Monroe, Harrison, Tyler, Taylor, Wilson.

**) Woraufhin sich der Westen Virginias vom Rest spaltete und West Virginia gründete.

***) Neben anderen Städten auch die Heimat von Vienna, VA.

****) Und defacto Grenze der Metropolitanarea (siehe: Inside the Beltway)

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  1. [...] Virginia wählt am Super Tuesday, dem 8. März, 50 Delegierte zur Republican National Convention und ist damit der 4. größte Gewinn an diesem entscheidenden Datum. Nicht am Wahlzettel zu stehen könnte beiden die Kandidatur kosten: Super Tuesday ist in den meisten Wahljahren der Make-or-Break Termin. Wer an diesem Tag nicht genug Stimmen gewinnt, hat nicht genug Momentum auf seiner Seite, um bis April durchzuhalten, wo Texas über 100 Delegierte wählt. Bush 2000, Kerry 2004, McCain 2008, sie alle konnten sich am Super Tuesday endgültig durchsetzen.  Natürlich ist das Missgeschick nicht nur ein wahlarithmetisches Problem: Es wirft knapp eine Woche vor Iowa die Frage auf, ob die beiden Kandidaten den notwendigen Organisationsgrad hinter sich haben, um  weiterhin als Frontrunner zu gelten. [...]

  2. [...] it felt really empowering,” beschreibt Myra Albu, heute Anwältin in der Nähe von Washington, DC, ihre Erfahrung als Teilnehmerin eines Caucus. 2008, als Jus-Studentin an der University of [...]


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