Strategy Sunday: Die harte Tour

Der direkte Kontakt zu den Wählerinnen und Wählern hat in unserer Mediengesellschaft an Bedeutung eingebüßt, zählt aber nach wie vor zu den Kerndisziplinen jeder Kampagne. Rick Santorum hat in Iowa gezeigt, dass Händeschütteln mehr als eine Pflichtübung sein kann.

Das allerknappste Gut jeder Wahlkampagne ist die verfügbare Zeit des/der KandidatIn. Geld, Medienpräsenz, UnterstützerInnen – jede andere Ressource lässt sich mit entsprechenden Anstrengungen vermehren, aber der Tag eines/einer KandidatIn hat immer nur 24 Stunden. Umso wichtiger ist es, diese Zeit so wirksam wie möglich einzusetzen.

Wirksam heißt in der Welt des Kampagnenmanagements, so viele Menschen wie möglich zu erreichen und das geht nun mal vorrangig über Medien – mit jedem Interview lassen sich schließlich (aber)tausende WählerInnen ansprechen. Warum also sollten KandidatInnen ihre wertvolle Zeit investieren, um zu einer Veranstaltung in ein Provinznest zu tingeln, bei der sie vor ein paar Dutzend WählerInnen auftreten?

Unter dem Radar

Wer die Berichterstattung über die republikanischen Vorwahlen verfolgt hat, konnte zuletzt öfter die Einschätzung lesen, dass die Präsenz der KandidatInnen vor Ort an Relevanz verloren hat. Als Begründung dafür wurden vor allem die zahlreichen TV-Debatten angeführt: Bis zu den Vorwahlen in Iowa gab es immerhin bereits 18 republikanische Fernsehduelle (alleine gestern und heute fanden innerhalb von 12 Stunden zwei weitere Debatten statt und bis zum 19. März stehen noch acht zusätzliche Termine auf dem Programm der – dann noch im Rennen befindlichen – KandidatInnen).

Es zeigt sich aber immer wieder, dass Medien (wie auch PolitikerInnen) dazu neigen, Kampagnenaktivitäten zu unterschätzen, die das Radar der Medienberichterstattung unterfliegen. Natürlich stimmt es, dass KandidatInnen mit schwachen Organisationsstrukturen und guter Debattenperformance – wie z. B. Newt Gingrich – überproportional von den TV-Diskussionen profitiert haben. Das Beispiel Iowa zeigt aber auch, dass es abseits einer breiten Medienpräsenz möglich ist, den direkten WählerInnenkontakt zur Schlüsselstrategie einer Kampagne zu machen. Und den Beweis dafür trat Rick Santorum an.

County by County

Kein anderer Republikaner hat im „Hawkeye State“ mehr Tourmeilen hingelegt und Einzelauftritte absolviert als Rick Santorum. Stilecht fuhr er in einem Pickup kreuz und quer durch Iowa, um letztlich als einziger Kandidat alle 99 Counties des ländlich geprägten Bundesstaats besucht zu haben. Da ist es nicht unwahrscheinlich, dass ihn alle seiner rund 30.000 WählerInnen persönlich zu Gesicht bekommen haben.

Die Effektivität dieser Strategie wird auch dadurch unterstrichen, dass Santorum zwar nicht in den größten, aber mit Abstand in den meisten Counties von Iowa eine Mehrheit der Stimmen erhalten hat. Auch in Iowa macht Kleinvieh bekanntlich Mist.

Gute Gründe

Vor allem KandidatInnen, denen aufgrund ihrer Außenseiterrolle wenige mediale Beachtung geschenkt wird, bleibt oft keine andere Wahl als die harte Tour des Tourens auf sich zu nehmen. Es gibt aber auch andere Gründe, die dafür sprechen:

  • Geld: Kleine Wahlkampfauftritte kosten zwar vergleichsweise viel Zeit, aber nur wenig Geld. Sie lassen sich großteils mit freiwilligen UnterstützerInnen organisieren und reißen – im Gegensatz zu Werbung – keine großen Löcher in ein Kampagnenbudget.
  • Imagekorrektur: Wer in den Medien schlecht rüberkommt, hat im persönlichen Kontakt die besten Möglichkeiten dieses Bild zu korrigieren. Letztlich gewinnt man damit überzeugte WählerInnen und bekommt als zusätzlichen Imagebonus „Volksnähe“ zugeschrieben.
  • Erfahrungsaufbau: Kleine Wahlkampfveranstaltungen sind ein perfektes Trainingsprogramm für weniger erfahrene KandidatInnen. Jeder Kabarettist weiß, dass es weitaus schwieriger ist, einen Gemeindesaal mit 30 Besuchern in Stimmung zu bringen als eine Veranstaltungshalle mit 1.000 Leuten in Begeisterung zu versetzen. Jene Botschaften, Sager und Pointen, die vor kleinem Publikum gut ankommen, funktionieren im Regelfall auch auf Großveranstaltungen. Darum sind solche Tourstops für KandidatInnen (und deren RedenschreiberInnen) ein idealer Rahmen um auszuprobieren, was am besten ankommt.
  • Lokalmedien: Mit kleinen Events baut man eine starke Verbindung zu einem oft unterschätzten Teil der Medienlandschaft auf: Regional- und Lokalmedien. Deren Glaubwürdigkeit, Reichweite und Einfluss ist in Summe ein starkes Gegengewicht zu den bundesweiten „Big Playern“.
  • Unterschätzung: Last, but not least, kann es auch vorteilhaft sein, unbemerkt von einer größeren Öffentlichkeit durch das Land zu touren – weil man unterschätzt wird. Zum Einen läuft man dadurch weniger leicht Gefahr, das Ziel von Attacken der MitbewerberInnen zu werden. Und zum Anderen bekommt man nach einer erfolgreich geschlagenen Wahl einen medialen Bonus für das überraschend gute Abschneiden.

Auch in Österreich funktioniert diese Strategie. Eines der bekanntesten Beispiele dafür ist die „Startklar-Tour“ von Alfred Gusenbauer, der als SPÖ-Vorsitzender ab Herbst 2004 durch alle Bezirke Österreichs tingelte. Diese Ochsentour hatte maßgeblichen Anteil daran, das Image des damaligen Oppositionsführers zu verbessern. Ohne diese Vorarbeit wäre es Gusenbauer wohl nicht geglückt, die SPÖ bei den Nationalratswahlen 2006 auf den 1. Platz zurückzuführen.

Es wird sich zeigen, ob Santorum sein in Iowa gewonnenes Momentum auf den nächsten Level heben kann. Wenn es ihm gelingt, als relevantester Gegenspieler von Mitt Romney wahrgenommen zu werden, könnte ihm nun viel mediale Aufmerksamkeit zuteil werden. In diesem Fall muss seine Kampagnenstrategie auch dann als äußerst erfolgreich betrachtet werden, wenn er nicht zum republikanischen Präsidentschaftskandidaten gekürt wird.

Dieser Beitrag ist von Stefan Bachleitner

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1 Rückmeldung zu “Strategy Sunday: Die harte Tour”

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  1. [...] Santorum mit hohem persönlichen Einsatz die symbolisch wichtigen Vorwahlen in Iowa für sich entscheiden konnte, machte er zum ersten Mal [...]


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