Contraception Controversy

Arbeitslosigkeit hin, Benzinpreise her: Empfängnisverhütung war in den letzten Wochen das mit Abstand wichtigste Wahlkampf-Thema in den USA. Wir erklären, um was es dabei geht – mit einer kleinen Videosammlung.

Alles begann im Jänner mit der jüngsten Gesundheitsreform Obamas, die u. a. auch kirchliche Arbeitgeber dazu verpflichten wollte, im Rahmen der Krankenversicherung für ihre Angestellten die Kosten von Empfängnisverhütung zu übernehmen. Wenig überraschend liefen die Konservativen gegen diese Regelung Sturm. Die Bewerber für die Nominierung zum republikanischen Präsidentschaftskandidaten lieferten sich ein Wettrennen um die härteste Kritik und riefen bald einen „Krieg Obamas gegen die religiöse Freiheit“ aus. Es sah ganz so aus, als hätte die Obama-Administration den Republikanern im Wahljahr eine Steilvorlage geliefert …

Zwar werden Verhütungsmittel auf Krankenschein von einer Mehrheit der US-BürgerInnen begrüßt, der Vorstoß wurde aber als Einschränkung der Religionsfreiheit angeprangert – schließlich hätten die Katholische Kirche und andere Religionsgemeinschaften dadurch Verhütungsmethoden finanzieren müssen, die sie ablehnen. Diese Darstellung drohte dem Amtsinhaber gefährlich zu werden, denn kein US-Präsident kann sich einen Konfrontationskurs mit der Religiösität im Land leisten. Obama machte deshalb einen Rückzieher.

Davon überzeugt, mit Obamas umstrittenen Plan ein wahlkampftaugliches Mobilisierungsthema gefunden zu haben, organisierten die Republikaner rasch ein Hearing im Repräsentantenhaus. Schon der Titel „Lines Crossed: Separation of Church and State. Has the Obama Administration Trampled on Freedom of Religion and Freedom of Conscience?“ versprach eine gewisse Dramatik. Unter dem Vorsitz des Republikaners Darrell Issa sollten ausschließlich religiöse Kritiker der Obama-Initiative zu Wort kommen.

Im Übereifer machte Issa allerdings den taktischen Fehler, keine einzige Frau als Zeugin zu laden, obwohl das Hearing Fragen der Empfängnisverhütung berührte. Die Demokraten bekamen nur eine Person als „minority witness“ zugestanden und schlugen dafür Sandra Fluke vor, eine frauenpolitisch engagierte Jus-Studentin an der Georgetown University in Washington D.C. – der ersten römisch-katholischen Universität der USA. Als Issa eine Aussage der 30-jährigen ablehnte, kam es zum Eklat und die Abgeordneten der Demokraten verließen das Hearing. Fluke sagte daraufhin bei einer eigenen Anhörung der demokratischen Kongressabgeordneten aus.

Dabei erläuterte die Studentin u. a., dass Empfängnisverhütung ihren Kommilitoninnen auf die Dauer des Jus-Studiums über 3.000 US-Dollar kosten würde, was für viele den Verdienst eines kompletten Sommers bedeuten und laut einer Umfrage rund 40 % der Studentinnen ihrer Fakultät finanzielle Probleme bereiten würde.

Aufgrund dieser Aussage wurde Fluke zum Zielobjekt gehässiger Angriffe der religiösen Rechten. Vor allem der erzkonservative Talk Radio-Star Rush Limbaugh, dessen Sendung von über 600 Radiostationen verbreitet und von bis zu 20 Millionen Amerikanern gehört wird, schoss sich auf die Studentin ein und beschimpfte sie u. a. als „Schlampe“ („Slut“), „Prostituierte“ und – ein Lieblingswort Limbaughs – „Feminazi“.

Zwischen dem 29. Februar und dem 2. März wurde Sandra Fluke insgesamt 46 Mal von Rush Limbaugh verunglimpft, der immer ausfälliger wurde. Der Radio-Talker mutmaßte dabei, Fluke habe so viel Sex, dass sie kaum laufen könne, und forderte sie auf, im Gegenzug für die Finanzierung ihrer Empfängnisverhütungsmittel Videos von ihrem Liebensleben ins Internet zu stellen. Die plötzlich im Mittelpunkt der innenpolitischen Diskussion stehende Jus-Studentin konterte mit der Ansage, sich mit solchen Methoden nicht zum Schweigen bringen zu lassen. Hier ein bewegendes Interview mit ihr:

Limbaugh, der für seine derben Verbalprügeleien bekannt ist, hatte den Bogen eindeutig überspannt. Den Republikanern bescherte er damit ein veritables Problem, denn Frauen sind eine der wichtigsten WählerInnengruppen bei den bevorstehenden Wahlen und seine Entgleisungen wurden von einer deutlichen Mehrheit der Wählerinnen verurteilt. Das folgende, sehr humorvolle Video bringt die Empörung vieler amerikanischer Frauen auf den Punkt:

Limbaughs Entgleisungen manövrierten die Kandidaten bei den republikanischen Vorwahlen jedenfalls in eine Zwickmühle. Da Limbaugh bei den Anhängern der Tea Party außerordentlich populär und meinungsbildend ist, wagte es nur Ron Paul, den Radiomoderator für seine Aussagen zu kritisieren. Mitt Romney, dem Rick Santorum empfindlich zu schaffen macht, brachte hingegen nicht mehr als eine halbherzige Distanzierung über die Lippen: Die Entgleisungen seien „nicht die Sprache, die ich verwendet hätte“, meinte er kurz angebunden. Obama-Berater David Axelrod ließ sich diese Gelegenheit nicht engehen, dem voraussichtlichen Herausforderer Obamas mangelnde Courage vorzuwerfen: „Wenn Romney sich noch nicht einmal traut, Limbaugh zu kritisieren, wie will er dann Ahmadinedschad gegenübertreten?“

Barack Obama wiederum stellte sich demonstrativ hinter Sandra Fluke. Der US-Präsident rief die Studentin an, um ihr seine Unterstützung zu bekunden und für ihr engagiertes Auftreten zu danken. Die Demokraten nutzten (und nutzen) die Entgleisungen Limbaughs, um die Frauenfeindlichkeit des rechten Lagers der Republikaner aufzuzeigen. Nancy Pelosi, die Anführerin der demokratischen Minderheit im RepräsentantInnenhaus, bezeichnete die politische Agenda der Republikaner als „Krieg gegen die Frauen“. Mit diesem Kampfbegriff wurde innerhalb kürzester Zeit eine Million US-Dollar an Kampagnenspenden gesammelt.

Am Ende tat Limbaugh etwas, was er sonst nie tut – er entschuldigte sich bei Sandra Fluke (wenngleich auch nur etwas halbherzig, wie sein nachfolgender Kommentar zeigt). Die Kritik an ihm war einfach zu massiv geworden und könnte ihm am Ende sogar seine Sendung kosten – auf 45 Werbekunden muss er jedenfalls bereits verzichten.

Fazit: Dank der unfreiwilligen Schützenhilfe von Rush Limbaugh und der starken Unterstützung von Frauenrechtsgruppen ist es den Demokraten gerade noch einmal gelungen, ein für sie hochbrisantes Thema zu ihren Gunsten zu drehen – zumindest vorerst, denn bis zu den Wahlen im November kann noch einiges passieren. Die letzten Wochen könnten aber ein entscheidender Etappensieg auf dem Weg zur Wiederwahl des Amtsinhaber gewesen sein – denn ohne die Unterstützung der Frauen hat Obama keine Chance auf eine zweite Amtszeit.

Dieser Beitrag ist von Stefan Bachleitner

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5 Rückmeldungen zu “Contraception Controversy”

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  1. [...] gegen die Georgetown-Studententin Sandra Fluke, deren Hintergrund Stefan Bachleitner ausführlich dargestellt hat. Die Auseinandersetzung dominierte rund eine Woche lang die Medien, doch an einem Großteil der [...]

  2. [...] Contraception Controversy ist noch immer voll im Gange – und das trotz steigender Gaspreise, die die RepublikanerInnen [...]

  3. [...] Contraception Controversy hat uns schon in den letzten Wochen mehrfach beschäftigt. In einer neuen Umfrage sehen wir jetzt [...]

  4. [...] er mit seiner Einwanderungspolitik und bei unverheirateten Frauen mit seiner Haltung zu Themen wie Verhütung und Abtreibung, aber auch mit seinem Eintreten für Lohngerechtigkeit, wie z. B. dieser aktuelle Spot [...]

  5. [...] Vorwahlen versucht, das Thema Frauengesundheit auf’s nationale Tapet zu heben. Da gab es die Contracteption Controversy, in der RepublikanerInnen versuchten zu verhindern, dass Verhütungsmittel von der [...]


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