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Strategy Sunday: Eheprobleme

Meine Leidenschaft für die US-Politik wurde vor rund 20 Jahren geweckt, als ich auf einer Studienreise des Österreichischen Bundesjugendrings (heute ist das die Bundesjugendvertretung) zahlreiche Organisationen und Institutionen in den Vereinigten Staaten kennenlernen durfte. Zwei Stationen, die gegensätzlicher nicht sein konnten, sind mir dabei in besonderer Erinnerung geblieben: Ein Termin im Büro des damals in Österreich noch wenig bekannten Südstaatenabgeordneten Newt Gingrich und ein Besuch der Harvey Milk High School in New York – eine Schule, die Jugendlichen eine sichere Ausbildungsumgebung bietet, die aufgrund ihres „Andersseins“ im Regelschulwesen mit Diskriminierung zu kämpfen haben.

Solche Gegensätze sind kennzeichnend für das politische Leben in den USA. Da schaffen private Initiativen bemerkenswerte antiheteronormative Freiräume wie z. B. eine eigene Schule „for those who are gay, lesbian, bisexual, transgender, and questioning“ – in Österreich (noch immer) schwer vorstellbar – und gleichzeitig treten Waffenbesitzer, Abtreibungsgegner, Kreationisten oder Homophobe öffentlich in einer Form in Erscheinung, dass einem schlicht die Spucke wegbleibt. Das Aufeinandertreffen derartiger Gegensätze ist auch bestimmend für die politische Kampagnenarbeit in den USA – insbesondere, wenn es um die Wahl des US-Präsidenten geht. Der Kampf um die Gleichstellung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transsexuellen (in den USA mit „LGBT“ abgekürzt) ist dabei sicherlich eines der relevantesten „wedge issues“, dessen Bedeutung daher nachfolgend etwas eingehender analysiert werden soll. Denn die Homophobie ist in den USA nicht so bestimmend, wie die Dauerberichterstattung über die republikanischen Vorwahlen vermuten lassen würde.

Schlüsselthema „same-sex marriage“

Das aktuelle Schlüsselthema der politischen Auseinandersetzung in diesem Bereich ist die „same-sex marriage“. Obwohl dieses Thema die Lesben- und die Schwulenszene bis zu einem gewissen Grad spaltet (Marco Schreuder hat in seinem Blog einen interessanten Beitrag dazu veröffentlicht), ist es der unumstrittene Lackmustest, wenn es um die Gleichstellung der LGBT-Community geht. 42 % der Amerikanerinnen und Amerikaner leben inzwischen in Bundesstaaten, die gleichgeschlechtlichen Partnerschaften in der einen oder anderen Form eine rechtliche Anerkennung verleihen. Gleichzeitig verhindert der „Defense-of-Marriage Act“ (DOMA) seit 1996 (ja, er wurde von Bill Clinton unterzeichnet) auf Bundesebene eine Gleichstellung solcher Partnerschaften mit der Ehe.

Die Rollenverteilung der politischen Lager in dieser Auseinandersetzung könnte auf den ersten Blick kaum klarer sein. Auf der einen Seite steht die Obama-Administration, zu deren (bislang uneingelösten) Versprechen die Abschaffung des „DOMA“ zählt. Und auf der anderen Seite die republikanischeren Herausforderer, die sich dabei überbieten, als Verteidiger der traditionellen Ehe aufzutreten. Doch ein zweiter Blick zeigt, dass beide Seiten mit diesem kontroversiellen Thema so ihre Probleme haben.

„It get’s better“

Das Obama-Camp ist prinzipiell bemüht zu zeigen, dass der US-Präsident auf der Seite der LGBT-Community steht und – insbesondere für eine erste Amtszeit – viel für deren Gleichstellung getan hat. Selbst kritische BeobachterInnen gestehen der Obama-Administration eine erfolgreiche Bilanz in diesem Bereich zu. Ein Meilenstein war sicherlich, dass am 22. Juli 2011 die bis dahin geltende „Don’t ask, don’t tell“-Praxis des US-Militärs aufgehoben wurde, die Soldaten das öffentliche Führen gleichgeschlechtlicher Beziehungen untersagte. Das Weiße Haus unter Obama hat auch eine eigene Subseite für die LGBT-Community, auf der u. a. das „It Gets Better“-Projekt des Kolumnisten Dan Savage mit Videobotschaften des Präsidenten und des Vizepräsidenten unterstützt wird.

„It get’s better“ scheint letztlich auch Obamas Kernbotschaft an die LGBT-WählerInnen zu sein, die allerdings zum Teil darüber enttäuscht sind, dass der US-Präsident sich bislang um ein klares Bekenntnis zur gleichgeschlechtlichen Ehe drückte. Hier versucht Obama eine schwierige Gratwanderung: Zum Einen möchte er sich in Wahlkampfzeiten nicht zu sehr exponieren, was ein derart emotional aufgeladenes Thema betrifft (das überlässt er lieber seinen republikanischen Mitbewerbern), doch zum Anderen möchte er auch die geschätzten 12 Millionen LGBT-WählerInnen in den USA nicht vergraulen. Die Folge ist ein Mix höchst unterschiedlicher Signale: Als vor Kurzem ein Bundesgericht entschied, dass „Proposition 8“ – ein kalifornisches Gesetz zum Verbot gleichgeschlechtlicher Ehen – verfassungswidrig sei, beschränkte sich Obama (wieder einmal) auf die lapidare Feststellung, dass seine Position zu diese Thema noch immer „evolving“ (= in Entwicklung) ist. Anders gesagt: Obama möchte die Klärung dieser Frage lieber den Gerichten überlassen. Gleichzeitig scheute er sich aber nicht, eine Gesetzesinitiative gegen gleichgeschlechtliche Ehen im swing state North Carolina entschieden abzulehnen.

Kulturelles Konfliktthema

Die Obama-Strategie in Sachen „same-sex marriage“ ist wohl auch deshalb so indifferent, weil sich zwar langsam Mehrheiten dafür abzeichnen, ein derart polarisierendes „wedge issue“ aber auch wichtige WählerInnengruppen aus seiner „winning coalition“ sprengen könnte. Denn obwohl die Haltung der US-Bevölkerung gegenüber schwulen und lesbischen Beziehungen so positiv wie noch nie ist, teilt die Diskussion darüber das Land. Eine Gallup-Studie aus dem Jahr 2011 kam zu dem Ergebnis, dass zwar 56 % der befragten US-BürgerInnen schwule und lesbische Beziehungen für „moralisch akzeptabel“ halten, diese aber immerhin von 39 % der Befragten als „moralisch falsch“ abgelehnt werden. Damit liegen „gay or lesbian relations“ – gleichauf mit Pelzkleidung und Tierversuchen – auf Platz 4 der kontroversiellsten Themen (die Stockerlplätze belegen übrigens Sterbehilfe, Abtreibung und uneheliche Kinder). Bemerkenswert ist, dass die Haltung zu diesem Thema stark altersabhängig ist: Schwule und lesbische Beziehungen sind für 66 % der befragten 18- bis 34-jährigen moralisch akzeptabel, aber nur für 47 % der über 55-jährigen (einen größeren Alters-Gap gibt es nur beim Thema Pornographie) – die Homophobie stirbt also langsam aus.

Dennoch (oder gerade deswegen) setzt die religiöse Rechte diese kulturellen Streitthemen gezielt ein, um WählerInnen zu mobilisieren – und prägt damit auch den Vorwahlkampf der Republikaner. Rick Santorum konnte sich mit seinem evangelikalen Programm immerhin als stärkster Herausforderer Mitt Romneys etablieren und bestimmt damit die Agenda der republikanischen Debatte maßgeblich mit. Schon jetzt bezeichnen manche BeobachterInnen die republikanischen Vorwahlen als „most homophobic in American history“ – haben doch alle KandidatInnen in der einen oder anderen Form angekündigt, die Rechte von LGBT-BürgerInnen beschränken zu wollen. Einer der bisherigen Tiefpunkte des republikanischen gay-bashings war der „Strong“-Werbespot des (inzwischen aus dem Rennen geschiedenen) Gouverneurs von Texas, Rick Perry, der sich mit seiner offen zur Schau getragene Schwulenfeinlichkeit einen Spitzenplatz unter den „most disliked“ YouTube-Videos aller Zeiten gesichert hat:

Doch zahlreiche republikanische Strategen beobachten diese extreme Positionierung mit wachsender Sorge, denn am Ende könnte die GOP damit den Anschluss an den Mainstream verlieren. Kurzfristig können die Republikaner damit vielleicht noch ihre Basis mobilisieren (so wie bei den Wahlen 2004), doch langfristig manövrieren sie sich damit auf die Verliererstraße. Der Generationenwechsel, die anhaltenden Diskussionen und die zunehmende öffentliche Sichtbarkeit von Lesben, Schwulen, Bi- und Transsexuellen haben dazu beigetragen, das Meinungsbild in weiten Teilen der US-Bevölkerung zu drehen. So zeichnet sich in Kalifornien, wo sich 2008 noch 52 % der WählerInnen für „Proposition 8“ (das oben erwähnte Verbot von gleichgeschlechtlichen Ehen) aussprachen, zunehmend eine Mehrheit für „same-sex marriage“ ab.

Konsequente Kampagnen- und Lobbyingarbeit

Ein Grund dafür ist die konsequente Kampagnen- und Lobbyingarbeit von LGBT-Gruppen auf allen Ebenen. Seit den „Stonewall riots“ 1969 oder ihrem erfolgreichen Kampf gegen „Proposition 6“ im Jahr 1978 ist die Bewegung nicht nur gewachsen, sondern hat sich auch stark professionalisiert. Einflussreiche Organisationen wie die Human Rights Campaign, die National Gay and Lesbian Taskforce oder der Gay & Lesbian Victory Fund verleihen den KandidatInnen und Positionen der Community heute bundesweit Nachdruck (nicht zu vergessen die entsprechenden Parteiinitiativen wie z. B. die Stonewall Democrats oder die – ja, auch die gibt es – Log Cabin Republicans).

Der Erfolg dieser Initiativen baut auf vielen Faktoren auf, darunter ihr positiver Grundton, die Förderung der Sichtbarkeit der LGBT-Community durch entsprechende „Coming Out“-Initiativen (Menschen, die Kontakt mit Schwulen oder Lesben haben, zeigen laut Umfragen eine signifikant höhere Zustimmung zu deren Gleichstellung), der Kampf gegen das Bullying von Jugendlichen (siehe „It Gets Better“) und nicht zuletzt die konsequente Mobilisierung von WählerInnen (z. B. durch Aktionen wie „Mitt ’N Match“). Die Wirksamkeit dieser Maßnahmen wird auch dadurch belegt, dass die Wahlbeteiligung der Community über dem US-Durchschnitt liegt.

Langfristig ist also zu erwarten, dass die Gegner der gleichgeschlechtlichen Ehe in der USA ihren Kulturkampf verlieren werden. Vielleicht sollten sich republikanische „family values“-Hardliner wie Newt Gingrich angesichts dieser Fakten mal etwas öfter mit ihren Familienmitgliedern darüber unterhalten. Candace Gingrich-Jones, die um 20 Jahre jüngere Halbschwester von Newt Gingrich, ist eine der bekanntesten Aktivistinnen der Human Rights Campaign. Sie zeigte sich von der (maßgeblich durch Anti-Gay-Groups ermöglichten) Kandidatur ihres Halbbruders übrigens wenig beeindruckt – und hat bereits angekündigt, im November Obama zu wählen.

Dieser Beitrag ist von Stefan Bachleitner

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1 Rückmeldung zu “Strategy Sunday: Eheprobleme”

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