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Tales from a different democracy

Drei meiner ehemaligen MitbewohnerInnen in DC haben etwas gemeinsam: Sie sind seit etwa drei Jahren in DC, alle arbeiten im politischen Bereich: Einer ist Anwalt im Justizministerium, einer arbeitet für einen Senator, die dritte ist Journalistin. Und: Sie haben alle noch nie in DC gewählt. Wie kann es sein, dass eine Demokratie mit so viel Tradition so eine geringe Wahlbeteiligung hat? Mein Versuch, in New Orleans republikanische VorwählerInnen zu interviewen, erklärt es teilweise.

Eigentlich hätte hier eine Reportage aus dem Vorwahlstaat Lousiana entstehen sollen. Geplant nach New Orleans zu fahren, um eine Freundin zu besuchen, hatte ich schon lange. Ein Wahllokal suchen, mit ein paar Rick Santorum WählerInnen reden – einfache Geschichte. Doch schon bei der ersten Recherche stellte sich heraus: So einfach wird das nicht werden. Nach Wahllokalen gegoogelt komme ich auf eine Datenbank des Secretary of State, der die Wahlen – auch eigentlich parteiinterne wie Vorwahlen –   koordiniert. Dazu kommt, dass in New Orleans auch Special Elections UND demokratische Vorwahlen für mehr Ämter als nur die Präsidentschaft stattfinden. Special Elections passieren meistens im Frühjahr: Im November wurden Menschen gewählt, die schon vorher Ämter innehatten. Im Jänner werden sie in die neuen Ämter angelobt, ihre alten stehen zur Wahl. In guten Jahren wie heuer können also zwei und mehr Wahlen stattfinden. Zum Council Member at Large gibt es zum Beispiel eine Stichwahl  und das obige Spielchen kann man theoretisch noch einmal wiederholen, wobei die im Frühjahr freigewordenen Ämter meist erst im November nachgewählt werden. An jenem sonnigen Samstag stehen also nicht nur die Republikanischen Kandidaten zur Wahl, sondern auch DemokratInnen.

Wahllokalisierung

Die Adresse meiner Gastgeberin in die Datenbank eingegeben liefert leider kein Wahllokal. Doch nach Recherche finden wir einen Zeitungsartikel, der Wahllokale listet. 1300 Poydras Blvd, das Stadtverwaltungsgebäude (Es als “Rathaus” zu bezeichnen wäre eine Beleidigung für die Rathäuser dieser Welt). Also mache ich mich dorthin auf. Am Weg stehen zwei plakateschwingende UnterstützerInnen einer lokalen Kandidatin an einer Straßenecke. Ich halte an und frage wo das nächste Wahllokal ist – und blicke in unwissende Gesichter. Sie kämen aus einer anderen Stadt und seien nur für den Tag in NOLA. Also zurück zum ursprünglichen Plan. Ich gehe zweimal die Straße auf und ab, bis ich an einem verschlossenen Gebäude die Zahl 1300 entdecke. Ich stehe so lange untentschlossen vor der Türe bis sich die Securitydame erbarmt und mich fragt, was ich denn suche. Es wundert sie auch, dass dieses Jahr kein Wahllokal hier ist. Nein, wo man wählen kann weiß sie nicht. Sie glaubt sich erinnern zu können dass irgendwo bei St. Charles ein Wahllokal sei. Nachdem das etwa dort war, wo ich die beiden UnterstützerInnen gesehen habe, fahre ich halt wieder zurück.

In einer Seitenstraße fahre ich durch eine Schulzone. Mit watson-hafter Kombinationsgabe parke ich mein Auto – wo eine Schule, da könnte doch auch ein Wahllokal sein. Auch hier kein Glück. Der Besitzer des Delis nebenan wirkt nicht, als hätte er gewusst, dass heute gewählt wird. Ich wandere ein wenig die Straße entlang und frage Passanten und Geschäftsleute. Manche schicken mich zu einer zweiten Schule, doch auch dort habe ich kein Glück. Mittlerweile bin ich eine Stunde unterwegs und habe zwar einiges an Wahlkampf, aber nichts zum Wählen gefunden. Ein alter autowaschender Afroamerikaner gibt mir dann den richtigen Tip: In der Kirche zwei Blocks weiter wird gewählt. Tatsächlich sitzen vier WahlbeisitzerInnen in der “Household of Faith. Family Worship Church International” – und langweilen sich. Das Wahllokal hat von 6 Uhr früh bis 20 Uhr geöffnet und hat insgesamt etwa 100 WählerInnen abgefertigt. Das halbstündige vor der Kirche rumstehen hat dementsprechend zu nur einem WählerInnenkontakt geführt – und das war ein Demokrat.

Voter Disenfranchisement

Ganze 28,4% war die Wahlbeteiligung registrierter RepublikanerInnen bei den republikanischen Vorwahlen in New Orleans, die anderen Wahlen kratzten an der 20% Marke. Gründe für die allgemein schlechte Wahlbeteilitung gibt es viele: Dass man sich extra für Wahlen registrieren muss, ist eine Hürde, genauso wie die Tatsache, dass es offenbar ziemlich schwierig ist ein Wahllokal zu finden. Der am meisten diskutierte Punkt ist wohl, dass die Wahl meist an einem Wochentag stattfindet. Das ist übrigens deshalb so, weil die Bauern am Wochenende in die Kirche gehen mussten (Christlicher Sabbat) und einen Tag zum auf der Pferdekutsche ins Wahllokal fahren brauchten. Deshalb blieb nur Dienstag, denn Mittwoch war Markttag. Aus Wahltagen Feiertage zu machen, ist daher nur eine von vielen Forderungen, um Wahlbeteiligung zu erhöhen. Weil das einer mühsamen bundesweiten Gesetzesänderung bedarf, haben viele Staaten Early oder Absentee Voting Gesetze eingeführt, um Wahlbeteiligung zu steigern – so hat sich sogar eine Gruppe gefunden, die “Netflix für Wahlen” anbietet. Gebracht hat’s bisher wenig.

Eine weitere Initiative, die für europäische Ohren merkwürdig klingt, ist die Forderung keine Fotoidentifikation bei Wahlen zu verlangen. DemokratInnen und Progressive argumentieren, dass Voter ID Wählen vor allem für Minderheiten und sozial benachteiligte Menschen schwieriger macht, weil sie oft keine offizielle ID, wie einen Führerschein haben. RepublikanerInnen argumentieren, dass es Wahlbetrug verhindert.

Weil eine ernsthafte Anhebung der Wahlbeteiligung auf niemandes Agenda steht, bleiben Dinge wohl so wie sie sind. Damit ist auch klar, was schlechte Wahlbeteiligung für Kampagnen bedeutet: Je weniger Menschen wählen gehen, desto mehr zählt jede Stimme. Umso wichtiger ist es, dafür zu sorgen, dass alle 1er und 2er zur Wahl gehen. Schlimmer Kardinalfehler also, dass die Freiwilligen am Straßenrand nicht wussten, wo sie WählerInnen hinschicken sollten.

Dieser Beitrag ist von Yussi Pick

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