Strategy Sunday: Emotionen

„Wir haben sehr viele Köpfe erreicht, aber nicht das Herz. Das heißt in Zukunft tiefer zielen.“ So kommentierte Michael Häupl das Abschneiden der SPÖ nach der Wien-Wahl 2010. Als studierter Biologe und Zoologe weiß Häupl natürlich, dass unser emotionales Zentrum nicht in der Herzgegend zu suchen ist. Aus dem gleichen Grund dürfte er aber auch verstehen, warum Politik „tiefer zielen“ muss – denn es ist ein weit verbreiteter Irrglaube, dass wir rational agieren. Unser Handeln wird maßgeblich von der Gehirnmitte gesteuert: dem limbischen System.

Ein Gastbeitrag von Benjamin Wilhelm*

In der Wahlkabine entscheiden wir nicht nur aufgrund der Faktenlage sondern aufgrund von emotionalem Empfinden. Dasselbe gilt auch für andere Bereiche wie Partnerwahl oder Shoppingtouren. Wer von uns hat noch nie mehr eingekauft als eigentlich „gewollt“?

Neuromarketing ist eine relativ junge Disziplin, die zum Kauf „verführen“ kann. Die neuen Erkenntnisse bringen auch einen Mehrwert für politische Kampagnen. War die (Wahl-)Werbung zum Vergessen, ist sie nicht bis zu unserem limbischen System durchgedrungen. Anstatt von faden Fakten sollten daher wahre Werte kommuniziert werden. Hans-Georg Häusel hat die Aktivität von Hirnarealen untersucht und ein Konstrukt dafür entworfen. Auf seiner Limbic® Map befinden sich zahlreiche Werte entlang dreier Hauptachsen.

Limbic© map
Limbic© Map von Hans-Georg Häusel, via zoonpoliticon.ch

Parteien, Produkte und selbst einzelne Wörter lassen sich hier einordnen. Demokraten legen dabei Wert auf eine intakte Welt, Sicherheit und soziale Gerechtigkeit, während bei Republikanern Stärke und Law & Order dominieren. Um eine erfolgreiche Kampagne zu schlagen, gilt es, Frames zu setzen, welche das eigene Wertebild verstärken.

„Der Strenge Vater“ vs. „Progressive Moral“

Die eigene Wertehaltung lässt sich durch simple Fragen eruieren:

Wenn Dein Kind in der Nacht schreit, nimmst Du es in den Arm?

Der Linguist George Lakoff behauptet, aus der Antwort lässt sich ableiten, wie progressiv bzw. konservativ jemand denkt. Lakoff ist kein Unbekannter. Ich traf ihn 2010 in Wien im Zuge einer Konferenz der European Association of Political Consultants. Der sehr locker auftretende Kalifornier ist ein Experte für Framing und fungierte als Berater von Obama. Laut ihm folgen Republikaner einem anderen Werteverständnis als Demokraten.

  • Der strenge Vater: Konservative sehen die Welt im Chaos und voller Gefahren. Der Vater beschützt die Familie und zieht die Kinder mit Disziplin auf. Abhängigkeiten sind ein Zeichen von Schwäche. Wettbewerb ist gut. Wer erfolgreich ist, ist auch moralisch stark. Der Erfolg des Einzelnen vermehrt den Erfolg der Gesellschaft.
  • Das progressive, fürsorgliche Modell: Kooperation statt Wettbewerb. Zusammen geht mehr als alleine. Demokratie basiert auf Empathie. Jeder und jede ist auch verantwortlich für sein Umfeld. Moralische Politik ermöglicht faire Chancen für alle. Die Wirtschaft dient dem Wohl der Menschen, nicht umgekehrt. Verantwortliches Handeln und Hilfe gehören gefördert.

Die meisten Menschen haben beide Moralvorstellungen verinnerlicht und agieren einmal fürsorglich und in einer anderen Situation streng. Eine erfolgreiche Kampagne ist authentisch und sendet Botschaften, die konsistent mit den eigenen Moralvorstellungen sind. So erreichen wir die „Herzen“ der Wähler und Wählerinnen.

Wie in früheren Beiträgen betont, ist Obamas neuer Slogan „Forward“ eine kluge Fortsetzung von „Hope“ und „Change“. Er ist zwar nicht neu, aber gut gewählt, weil ähnlich dem „Yes, we can“-Spruch, progressive Werte vermittelt werden. Bei der genauen Schwerpunktsetzung gilt es, nicht vom Weg abzukommen.

„same-sex marriage“

Nach Gesetzesänderungen in zahlreichen Staaten und Joe Bidens Zuspruch vermeldete Obama in der vergangenen Woche auch seine Unterstützung für die gleichgeschlechtliche Ehe. Ein begrüßenswerter und interessanter Schachzug. Familienthemen emotionalisieren und praktisch alle können mitdiskutieren. Legendär ist der Auftritt des vormaligen Präsidentschaftskandidaten der GOP John McCains bei der populären Ellen DeGeneres.

Homophobie ist sicherlich noch immer präsent in den USA. Bis vor kurzem galt in der Armee, Homosexualität zu verbergen – Stichwort: „Don’t ask, don’t tell“. Beim diesjährigen Correspondents Dinner scherzte Obama, nun eine „It’s raining men“-Verordnung auf seiner geheimen Agenda zu haben. Solch polarisierende Themen können Kerngruppen auf beiden Seiten mobilisieren. In Zeiten, wo Wahlkampfspenden eifrig gesammelt werden, mag solch ein Vorstoß helfen.

Aber auch Republikanern gibt er die Möglichkeit, nun konservative (Familien-)Werte zu propagieren. Dabei bedienten sie sich bisher der Taktik, „Sonder-Rechte“ für Homosexuelle abzulehnen. Mit einem klaren Bekenntnis setzt Obama, wenn auch nicht gänzlich ohne öffentlichen Druck, eine Agenda. Die Homo-Ehe alleine wird nicht die Wahl entscheiden, aber sie macht unterschiedliche Wertehaltungen der Kandidaten klar.

Automobilkrise & Osama bin Laden

Die beiden Kampagnenvideos „The Road we’ve traveled“ als auch „Forward“ sind geprägt von zwei Themen: dem Tod des Al-Kaida Führers und der Automobilindustrie. Der alten Weisheit folgend, Botschaften kurz und simpel zu halten, orientierte sich Joe Biden an Autoaufklebern. Eine prägnante Zusammenfassung Obamas Kamapagne:

Zahlreiche Geschäftsleute mussten in den letzten Jahren Konkurs anmelden. Einem bekannten Unternehmen zu helfen und Arbeitsplätze zu retten demonstriert den Erfolg progressiver Werte und verstärkt ausgezeichnet die Entrüstung über Mitt Romneys „Fire People“-Kommentar während den Vorwahlen. Ein kluges Manöver auch hier, da die Positionen zur Wirtschaft im Wahlkampf eine gewichtige Rolle spielen werden.

Die starke Präsenz von Bin Ladens Tod ist eine risikoreichere Entscheidung. Auf den ersten Blick klingt es nach einem Geniestreich. Nationale Sicherheit gilt nicht unbedingt als Stärke der Demokraten und Obamas Führungsqualitäten wurden von allen republikanischen Kandidaten öffentlich in Frage gestellt. Mit den bewegenden Videos mit Unterstützung von Davis Guggenheim und Tom Hanks wird das Commander-in-Chief-Image aufpoliert. Die Reaktionen der Republikaner variieren und am perfekten Wording wird noch gefeilt. Nichtsdestotrotz muss sich erst zeigen, ob das Ende Bin Ladens den Motor der Demokraten ankurbelt.

In zahlreichen Medien wird heftig debattiert, ob hier auf populistische Weise politisches Kapital geschlagen wird. Mediale Aufmerksamkeit ist gut, wenn der Frame passt. Obama als Osama-Killer – solch eine Law & Order-Verständnis verstärkt konservative, republikanische Werte. Es ist daher kein Zufall, welche Worte der US-Präsident vor einem Jahr wählte.

Bezüglich der „Operation Bin Laden“ betont Obama Zusammenhalt, Zusammenarbeit und „justice“. Das Ziel wird es nun sein, einen progressiven Frame aufrecht zu erhalten und nicht in die republikanische Wertewelt abzudriften. In anderen Worten: Obama sei der Retter, nicht Rächer, der Nation.

*) Benjamin Wilhelm studierte Psychologie und Politikwissenschaft in Wien und hält einen MSc in International Political Communication, Advocacy and Campaigning von der Kingston University London. Sein Fokus liegt auf politischem Marketing, Medieneffekten und strategischer Kampagnenplanung.

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