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Strategy Sunday: No. 2

Die Auswahl eines/einer VizekandidatIn ist eine höchst strategische Angelegenheit. Dementsprechend widmen sowohl die jeweiligen Kampagnen als auch die Medien dieser ersten, richtungsweisenden Entscheidung eines potenziellen Amtsinhabers – in diesem Fall Mitt Romneys – viel Zeit und Aufmerksamkeit.

Die Sauregurkenzeit dieses US-Wahljahres ist angebrochen – die Phase zwischen dem Zeitpunkt, an dem die Präsidentschaftskandidaten praktisch feststehen und den großen Conventions, die den Intensivwahlkampf einläuten.

Es sind noch rund 100 Tage bis zur GOP Convention in Tampa (Florida) und der Democratic Convention in Charlotte (North Carolina) eine Woche danach. 100 Tage, in denen nur wenige große Entscheidungen auf der Tagesordnung stehen. Die einzige große Ausnahme ist die Frage, wer VizepräsidentschaftskandidatIn wird – sehr zur Freude der Politikberichterstattung, die sich nun ausgiebig diesem Auswahlprozess und der Spekulation über die möglichen AnwärterInnen widmen kann.

Balancing the ticket

Der Schlüsselbegriff dabei lautet „ticket balance“, also der Versuch, durch die Person des/der VizekandidatIn gewisse Schwächen der No. 1 auszugleichen, um gemeinsam für möglichst viele WählerInnen attraktiv zu sein. Diese Balance kann höchst unterschiedliche Aspekte betreffen, hier ein paar Beispiele dafür:

  • Geographisch: John F. Kennedy gelang es 1960 mit der Auswahl von Lyndon B. Johnson (in einem insgesamt sehr knappen Rennen) mehrere Südstaaten zu gewinnen, in denen Kennedy alleine wohl kaum gepunktet hätte, darunter vor allem Johnsons Heimatstaat Texas.
  • Ideologisch: Ronald Reagan wählte 1980 seinen größten Herausforderer bei den damaligen Vorwahlen, Georg H. W. Bush, als „running mate“. Der kantige Konservative balancierte mit dem moderateren Bush erfolgreich sein politisches Profil und sendete gleichzeitig ein Zeichen der Einigkeit und Geschlossenheit an seine Partei.
  • Biographisch: Werden einem/einer BewerberIn mangelnde Erfahrungen in der politischen Arena (oder in anderen Bereichen, wie z. B. militärischen Belangen) vorgeworfen, kann diese Schwäche durch die No. 2 ausgeglichen werden. Das beste Beispiel dafür ist George W. Bush, der mit Dick Cheney 2000 einen alten Hasen auf sein Ticket nahm.
  • Demographisch: Auch Faktoren wie Alter, Geschlecht oder ethnische Zugehörigkeit sind für die Identifikation großer WählerInnengruppen mit einem KandidatInnenpaket wichtig und können daher die Veep-Auswahl beeinflussen. George H. W. Bush, der über 60 war, als er nach den Reagan-Jahren das Präsidentenamt erobern wollte, entschied sich daher für den deutlich jüngeren Dan Quayle.

Es gibt allerdings auch genug Beispiele dafür, dass die Balance nicht alles ist. Die Kombination Clinton/Gore 1992 war beispielsweise ein äußerst unbalanciertes Ticket: Beide eher jung (Clinton 45, Gore 44), beide aus – sogar benachbarten – Südstaaten (Arkansas und Tennessee), beide mit einem vergleichbaren politischen Profil. Erfolgreich waren die beiden dennoch. Walter Mondale wiederum, der 1984 mit Geraldine Ferraro die erste Frau als Vizepräsidentschaftskandidatin einer Großpartei auswählte, gewann nicht einmal die Mehrheit der Frauenstimmen und verlor in 49 von 50 Bundesstaaten gegen den damaligen Amtsinhaber Reagan.

Die Palin-Lektion

Auch wenn es gute Gründe gibt, den regelmäßig wiederkehrenden Hype um den „Vice Presidential Pick“ für überbewertet zu halten: In einem knappen Wahljahr wie diesem kann eine gute – und noch viel mehr eine schlechte – Entscheidung Mitt Romneys ausschlaggebend dafür sein, wer am 6. November die Nase vorne hat.

Den Republikanern steckt dabei noch die Erfahrung der vergangenen Präsidentschaftswahl in den Knochen. Im ersten Moment sah es so aus, als hätte John McCain mit der überraschenden (und nicht ganz freiwilligen) Nominierung Sarah Palins ein perfekt balanciertes Ticket präsentiert – mit dem er jene Frauen ansprechen konnte, die lieber Hillary Clinton statt Barack Obama als Kandidatin der Demokraten gehabt hätten. Zum ersten und einzigen Mal kam er damals in den Umfragen knapp an den späteren Gewinner heran. Doch wenige Wochen danach hatte Palin aufgrund ihrer außenpolitischen Inkompetenz und antifeministischen Aussagen die Chance vertan, McCains Kampagne den entscheidenden Boost zu verleihen.

Zurückgeführt wurde dieses Desaster auf die überhastete Auswahl Palins, deren Nominierung als „high risk“-Kandidatin von manchen Wahlbeobachtern heute als verzweifelter Hail Mary-Pass bezeichnet wird.

Darum prüfe, wer sich ewig bindet …

Die Romney-Kampagne ist offensichtlich darum bemüht, diesen Fehler nicht zu wiederholen und hat bereits mit dem ausführlichen „vetting“ der potenziellen VP-KandidatInnen begonnen. Diese werden von einem Spezialteam unter der Leitung von Beth Myers auf Herz und Nieren geprüft. Ein Prozess, der alles andere als angenehm ist („wie eine Darmspiegelung ohne Schmerzmittel“ beschrieb es mal jemand aus dem Lager der Demokraten) und in seiner Intensität auch über das hinausgeht, was ein/r PräsidentschaftskandidatIn über sich ergehen lassen muss.

Jedes noch so kleine Detail, politisch wie auch privat, aus dem Leben der potenziellen KandidatInnen wird dabei durchleuchtet – von ihren Steuererklärungen bis hin zu den Artikel, die sie seinerzeit in Schülerzeitungen veröffentlicht haben. Stundenlang werden sie und ihre Angehörigen (darunter auch ehemalige Verlobte und Ex-GattInnen) eingehenden Interviews mit teilweise höchst intimen Fragen unterzogen. Schließlich soll die erste „presidential style“-Entscheidung Mitt Romneys keine Fehlentscheidung werden.

Mitt Romney wird sich viel Zeit für diese Entscheidung nehmen – alleine schon deshalb, weil seine Kampagne die Aufmerksamkeit für diesen Prozess dazu nützen kann, die Berichterstattung im (kurzen) Sommerloch des US-Wahljahres zu dominieren. Die Spekulationen haben jedenfalls bereits begonnen und wir können gespannt sein, ob Marco Rubio, Rob Portman, Paul Ryan oder doch ein/e ganz andere KandidatIn gemeinsam mit Romney von den Wahlbuttons lächeln wird.

Dabei stehen die AnwärterInnen vor der schwierigen Entscheidung, ob sie ihre politische Karriere an Romneys Präsidentschaftsambitionen knüpfen wollen. Denn sollten sie als VP-KandidatIn an einer erfolglosen Kampagne beteiligt sein, bekommen sie ein Loser-Image verpasst und haben damit schlechte Chancen, in vier Jahren – wenn Obama nicht mehr antreten kann – das Präsidentenamt zu erobern. Sollte Romneys Kampagne hingegen erfolgreich sein, steht sein/e Vize in der ersten Reihe für dessen Nachfolge. Auch bei dieser Entscheidung geht es also letztlich um den ersten Platz …

P.S.: Die Republikaner scheinen diesmal in Sachen Vizepräsidentschaftskandidatur nichts anbrennen lassen zu wollen, was auch durch den Umstand belegt wird, dass sie nicht nur Obama, sondern auch dessen Vize Joe Biden verstärkt attackieren. Eine ungewöhnliche Strategie, deren Wirksamkeit sich noch zeigen wird müssen … [Nachtrag vom 28. Mai 2012]

Dieser Beitrag ist von Stefan Bachleitner

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1 Rückmeldung zu “Strategy Sunday: No. 2”

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  1. [...] sind Termine vor dem Juli kaum machbar. Darüber hinaus ist es klug, ausreichend Zeit für die Auswahl und Präsentation eines/einer VizepräsidentschaftskandidatIn vorzusehen, weshalb eine Convention vor den (im gleichen Rhythmus wie die US-Wahlen stattfindenden) [...]


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