Strategy Sunday: Action Bias

Spitzentorhüter und WählerInnen haben gemeinsam, dass sie ihre Entscheidungen nicht bereuen wollen. Dieses Bedürfnis wirkt sich auf ihr Verhalten aus – und lässt sie gelegentlich jede Logik vergessen.

Obwohl die Fußball-Europameisterschaft erst diesen Donnerstag in ihre K.o.-Phase eintritt, möchte ich bereits heute mit dem Schießen von Elfmetern beginnen. Ein Team rund um den israelischen Forscher Michael Bar-Eli hat nämlich vor ein paar Jahren eine sehr interessante Studie über das Verhalten von Top-Torhütern gemacht, die auch Wahlkampfmanager kennen sollten. Denn Goalkeeper müssen sich bei einem Elfmeter – ähnlich wie (Wechsel-)WählerInnen bei einer Wahl – für eine Richtung entscheiden, bevor sie erkennen können, wohin der Ball geht (schließlich braucht der bei einem Strafstoß nur etwa 0,2 bis 0,3 Sekunden vom Elfmeterpunkt bis ins Tor).

Das israelische Forscherteam hat 286 Penalties aus Top-Ligen und internationalen Meisterschaften ausgewertet und ist dabei zu einem verblüffenden Ergebnis gekommen: Ein Torhüter hat die beste Chance einen Elfmeter zu halten, wenn er in der Mitte stehen bleibt – die Erfolgsrate ist dann mehr als doppelt so hoch als beim Sprung in eine Ecke. Dennoch hechteten die Goalkeeper in 93,7 % aller Fälle nach links oder rechts.

Reue will vermieden werden

Die Forscher führen dieses Verhalten darauf zurück, dass Torhüter ein Elfmetertor stärker bereuen, wenn sie es in der Tormitte stehend kassieren. Schließlich wird von ihnen bei einem Strafstoß erwartet, dass sie aktiv sind und nicht wie festgewurzelt auf der Linie bleiben. (Auch eine Befragung unter Torhütern lieferte Hinweise darauf, dass sie das als Norm betrachten.) Goalies entscheiden sich daher viel zu oft für die Aktion, also den Sprung in eine Ecke. „Action Bias“ nennen das die Forscher – und bezeichnen damit die Neigung, auch dann aktiv zu handeln, wenn das Handeln voraussichtlich nutzlos, möglicherweise sogar schädlich ist.

Dass Spitzentorhüter nicht öfter auf einen zentral platzierten Elfer spekulieren (in der oben genannten Untersuchung gingen immerhin 28,7 % der Schüsse in Richtung Tormitte), ist ein starker Beleg dafür, wie mächtig ein „Action Bias“ sein kann – schließlich gibt es für Top-Keeper sehr starke Anreize, einen Elfmeter zu halten (und es handelt sich dabei ja auch um eine immer wieder auftretende Standardsituation). Doch die Angst, den unterlassenen Sprung zu bereuen ist einfach stärker als die Angst davor, in die falsche Ecke zu hechten. Verwunderlich ist das nicht, denn Reue ist ein verdammt unangenehmes Gefühl. (Nichts bereuen zu müssen ist hingegen ein höchst angenehmer Gemütszustand, Édith Piaf und Frank Sinatra können mit „No, je ne regrette rien“ bzw. „My Way“ ein Lied davon singen.)

Dass unsere Entscheidungen davon beeinflusst werden, Reuegefühle zu vermeiden, wird auch in der Werbung immer wieder instrumentalisiert. Das legendäre (und sehr erfolgreiche) IBM-Verkaufsargument „Nobody ever got fired for buying IBM equipment“ ist nur einer von vielen Belegen dafür. Kein Wunder also, dass sich derartige Strategien auch in Wahlkampagnen – sogar in Österreich – wiederfinden.

Verlockende Veränderung

Der „Action Bias“ könnte heuer dazu führen, dass auch solche US-WählerInnen Mitt Romney den Vorzug geben, die eigentlich Barack Obama für vertrauenswürdiger halten. Denn, egal ob es sich um eine lange Warteschlange an der Supermarktkassa oder die derzeitige Wirtschaftskrise handelt: Wer in einer negativen Situation feststeckt ist sehr geneigt, jede mögliche Veränderung zu begrüßen – auch dann, wenn gar nicht klar ist, ob sich seine/ihre Lage dadurch verbessert. Und die derzeitige Wirtschaftskrise ist für viele Menschen in den USA eine solche Situation.

Mitt Romney weiß, wie er damit Umzugehen hat. Das Wording seiner Kampagnenreden ist ganz darauf angelegt, diesen Menschen „Action“ zu versprechen – und dem Amtsinhaber Untätigkeit vorzuwerfen. Auf einer Wahlkampfveranstaltung vergangenen Donnerstag in Cincinnati – US-Präsident Barack Obama war zeitgleich in Cleveland auf Tour, beide waren also am selben Tag in Ohio – brachte er diese Botschaft auf den Punkt:

„Now you may have heard that President Obama is on the other side of the state and he’s going to be delivering a speech on the economy. He’s doing that because he has not delivered a recovery for the economy. But don’t forget, he’s been president for three and a half years. And talk is cheap. Action speaks very loud.“

Es würde mich nicht wundern, wenn wir das Wort „Action“ noch etwas öfter aus dem Mund von Mitt Romney zu hören bekommen werden …

Dieser Beitrag ist von Stefan Bachleitner

Stefan Bachleitner hat 87 Beiträge in diesem Blog verfasst.

Übersicht aller Beiträge von Stefan Bachleitner

Hinterlassen Sie eine Rückmeldung

Vor dem Senden dieses Formulars:
Diese Test stammt von Not Captcha

Tage
-418
-8
Stunden
0
-6
Min.
-4
-2
Sek.
-1
-1
USA2012.at ist ein Projekt von:
Stefan Bachleitner | Josef Barth | Yussi Pick