Strategy Sunday: Manndeckung

Die für die internationale Presse wenig interessante Phase zwischen dem Ende der Vorwahlen und den großen Conventions Ende August (Republikaner) bzw. Anfang September (Demokraten) könnte hierzulande den Eindruck erwecken, dass der US-Wahlkampf derzeit vor sich hindümpelt. Tatsächlich bewegt sich in den Umfragen nur wenig – doch gerade deshalb wird die Auseinandersetzung von beiden Seiten immer verbissener geführt. Kaum eine Aktion bleibt ohne Gegenreaktion der anderen Seite …

Cedar Rapids im US-Bundesstaat Iowa hat in etwa so viele Einwohner wie Innsbruck, nur etwa 0,04 % der US-BürgerInnen leben dort. Und dennoch fanden in dieser Stadt am vergangenen Dienstag gleich zwei hochrangig besetzte Wahlkampfveranstaltungen statt. Während US-Präsident Barack Obama an einer Diskussionsveranstaltung über Steuerpolitik teilnahm, präsentierte der Vorsitzende des „Republican National Committee“ Reince Priebus in Cedar Rapids die Website ObamanomicsOutsourced.com, um die Verantwortung des Amtsinhabers für die Abwanderung von US-Jobs ins Ausland zu thematisieren.

Was die PolitikredakteurInnen kleiner Regionalmedien in Planungsstress versetzt, ist keine zufällige Terminkollission, sondern folgt dem Kalkül eines hart geführten Wahlkampfs. Denn fast immer wenn Barack Obama einen öffentlichen Auftritt in einem battleground state hat, findet am selben Tag im selben Ort eine Veranstaltung der Republikaner statt. So verfolgten z. B. Bobby Jindal, Gouverneur von Louisiana, und Tim Pawlenty, Ex-Gouverneur von Minnesota, den US-Präsidenten auf seiner Bus-Tour in Ohio and Pennsylvania.

Bracketing

Bracketing“ (von „bracket“, engl.: Klammer; sinngemäß also „Einklammern“) nennt das Romney-Camp diese Taktik, die im Fußball wohl schlicht als Manndeckung bezeichnet werden würde: Immer möglichst nahe am Gegenspieler bleiben, um ihm so wenig Raum wie nur möglich zu überlassen. Das Kalkül dahinter ist klar und folgt der alten Kampagnenweisheit, dass man seinem Gegner auf dem Kampagnenpfad niemals einen „free ride“ – also eine Freifahrt – schenken sollte. Natürlich sind die Headlines in den landesweiten Medien von Iowa, Ohio und Pennsylvania für den US-Präsidenten reserviert, wenn Obama dort auf Tuchfühlung mit dem Wahlvolk geht. Doch es macht einen großen Unterschied, ob er den gesamten Bericht für sich alleine hat oder ein Teil des dafür vorgesehenen Platzes durch die Berichterstattung über eine Gegenveranstaltung angeknabbert wird.

Daher beobachtet jede Kampagne sehr genau, welche Aktivitäten die jeweils andere Seite setzt – um in kürzester Zeit darauf zu reagieren. Selbst Protestaktionen (wie z. B. letztens bei einem Fundraising-Event Mitt Romneys beim US-Milliardär David Koch) oder Guerilla Campaigning-Aktivitäten wie „Chicken George“ (ein Klassiker aus dem Bush-Clinton-Wahlkampf 1992) sind typische Miniaturmanöver eines solchen Stellungskriegs.

Auch in Österreich sind derartige Taktiken durchaus üblich. „Für die ÖVP ist der 1. Mai traditionell der Tag der Gegeninszenierung zum SPÖ-Aufmarsch auf dem Wiener Rathausplatz“ bemerkte ein Bericht auf ORF.at in diesem Jahr unverhohlen. Natürlich haben die SozialdemokratInnen am „Tag der Arbeit“ den größten Anteil der Berichterstattung, doch keine Partei lässt es sich entgehen, durch entsprechende Gegenveranstaltungen ein Stück des Medienkuchens für sich zu reklamieren.

Outsourcing battle

Das Prinzip der Manndeckung wird nicht nur in Zusammenhang mit Kampagnenauftritten angewandt, sondern auch auf dem Feld der politischen Themen. Die oben erwähnte Webseite ObamanomicsOutsourced.com ist ein typisches Beispiel dafür, denn seit dieser Woche gehört es zu den Mantras der Romney-Kampagne, US-Präsident Obama als „Outsourcer in Chief“ darzustellen:

Was wie eine Offensive aussieht, ist in Wirklichkeit ein Konter – denn das Obama-Camp wirft Romney seit Ende Juni vor, ein Vermögen mit dem „Outsourcing“ von US-Jobs gemacht zu haben:

So sieht der US-Wahlkampf aus: Offensive trifft auf Gegenoffensive, Meinung auf Gegenmeinung, Darstellung auf Gegendarstellung. Dieses politische Hick-Hack mag dazu beitragen, die Glaubwürdigkeit der Politik insgesamt zu beschädigen, aber angesichts einer immer erbitterter geführten Auseinandersetzung bleibt den beiden Kontrahenten keine andere Wahl. Schließlich bewirkt das System der Manndeckung, dass kein Kandidat einen entscheidenden Vorteil erringen kann und sich jedes Lager in seiner eigenen Meinung bestätigt findet. So denken laut aktuellen Umfragen 86 % der Demokraten, dass Obama einen guten Job macht, während nur 11 % der Republikaner dieser Meinung sind.

Ein Ergebnis davon ist, dass es Obama nicht gelingt, sich deutlich genug von seinem Herausforderer abzusetzen, um dem November sorgenfrei entgegensehen zu können. Doch umgekehrt schafft es auch Romney (trotz hoher Arbeitslosenraten) nicht, in den Umfragen richtig durchzustarten – insbesondere seine Bain Capital-Vergangenheit wird für ihn immer mehr zu einem Klotz am Bein.

Beide Seiten stehen deshalb unter großem Druck: Romney muss (besser früher als später) ein paar Wirkungstreffer erzielen, damit er Obama im November auf Augenhöhe fordern kann. Und Obama darf sich keinen Fehler erlauben, um eine Wahl, in der er letztlich wenig zu gewinnen, aber viel zu verlieren hat, für sich zu entscheiden …

Dieser Beitrag ist von Stefan Bachleitner

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  1. [...] Convention einen Auftritt in der Late Show von David Letterman hat, was den Republikanern ein Stück des Aufmerksamkeitskuchens kosten [...]


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