Strategy Sunday: Wie Bush, nur andersrum

Die Medien bezeichneten es als ersten Paukenschlag im diesjährigen US-Wahlkampf: Am Mittwoch dieser Woche erklärte Barack Obama in einem Fernsehinterview, dass gleichgeschlechtliche Paare heiraten können sollten. Ein überraschender Schritt, der dieses Thema plötzlich in den Mittelpunkt des Wahlkampfs rückt. Das Interessante daran: Die Strategie dahinter könnte sich Obama von der Wiederwahlkampagne George W. Bushs abgeschaut haben.

Ein einziger Satz kann in der Politik viel bedeuten – vor allem, wenn er zum ersten Mal von einem US-Präsidenten gesprochen wird: „At a certain point I’ve just concluded that for me, personally, it is important for me to go ahead and affirm that I think same-sex couples should be able to get married.“ (Wie in diesem Beitrag zu sehen ist, nimmt Obama einen langen argumentativen Anlauf, um diesen entscheidenden Satz zu sagen.)

Das mediale Echo war enorm, denn der US-Präsident nimmt damit – in einer sehr emotionalen Frage – eine Position ein, die den Gegensatz zu seinem Herausforderer Mitt Romney deutlich unterstreicht. Bereits im März habe ich in einem etwas ausführlicheren Blogbeitrag erläutert, warum die „same-sex marriage“ ein derartiges Schlüsselthema ist. Mit Obamas neuer Linie gewinnt es als Wahlkampfthema nun zusätzlich an Bedeutung.

Bis zu diesem Interview hatte es Obama – zur Enttäuschung vieler LGBT-WählerInnen – vermieden, sich zur gleichgeschlechtlichen Ehe klar zu positionieren. Vielmehr hatte er seine Meinung dazu lange Zeit als „evolving“ bezeichnet. Nun ist dieser Entwicklungsprozess offensichtlich abgeschlossen und Obama hat sich für eine Offensivstrategie entschieden – die übrigens ganz im Einklang mit seinem Kampagnenmantra „Forward“ steht (es ist meines Erachtens kein Zufall, dass in seiner Erklärung die Formulierung „to go ahead“ vorkommt).

Diese Strategie ist – wie jeder überraschende Schachzug – nicht ohne Risiko. Dementsprechend groß sind auch die Gewinn- und Verlustchancen, die ich an dieser Stelle etwas genauer analysieren möchte. Widmen wir uns zuerst den Risiken:

  • Mobilisierung der evangelikalen Rechten: Obama provoziert mit seiner Position den Zorn der evangelikalen Rechten, für die das Bekenntnis des US-Präsidenten zur „Homo-Ehe“ eine Kampfansage ist. Diese Gruppe hätte Obama zwar ohnehin nicht gewählt, hat aber nun ein sehr brauchbares Thema serviert bekommen, um ihre AnhängerInnen zu den Wahlurnen zu bringen. Angesichts der begrenzten Begeisterung der republikanischen Basis für den glatten Mitt Romney ist der Vorstoß Obamas also ein Geschenk für die Kampagnenmaschine des rechten Rands.
  • Mögliche Probleme in „swing states“: Obama kann zwar darauf vertrauen, dass inzwischen eine Mehrheit der US-WählerInnen seine Ansicht teilt, doch die entscheidende Frage ist, ob dies auch in den wahlentscheidenden „swing states“ der Fall ist. So sprachen sich z. B. in Ohio im Jahr 2004 und in Florida im Jahr 2008 jeweils deutliche Mehrheiten von 62 % der WählerInnen für die Verankerung des Verbots von gleichgeschlechtlichen Ehen in der Verfassung aus. Bei einem entsprechendes Referendum in North Carolina letzten Dienstag – der Anlass für Obamas Statement – lag diese Zahl bei 61 %.
  • Wahrnehmung der politischen Prioritäten: Die größte Gefahr für Obama besteht darin, als Präsident stilisiert zu werden, der sich lieber um die Rechte von Minderheiten kümmert, als sich den „großen Problemen“ der – unter einer für US-Verhältnisse hohen Arbeitslosigkeit leidenden – Bevölkerung zu widmen. Gelingt es Romney, ein derartiges Bild zu erzeugen, könnte Obama bei WechselwählerInnen – und sogar bei afroamerikanischen KernwählerInnen, die in punkto LGBT-Rechten konservativer als der Durchschnitt der DemokratInnen ticken – entscheidende Stimmen verlieren.

Diesen Risiken steht vor allem die Chance gegenüber, der eigenen Basis wieder Kampfgeist zu verleihen. Schließlich wird die Obama-Kampagne 2012 an der Obama-Kampagne 2008 gemessen werden – und muss es daher (zumindest teilweise) schaffen, wieder jene Begeisterung und Motivation unter ihren AnhängerInnen zu entfachen, die Obama ins Weiße Haus gebracht hat. Kantige, gesellschaftspolitische Aussagen – die auch politischen Mut erfordern – sind dazu durchaus geeignet. Insbesondere bei jüngeren und liberaleren WählerInnen (und natürlich in der LGBT-Community) kann Obama nun mit mehr Unterstützung rechnen – die seine Kampagne auch gleich auf my.barackobama.com/marriage und mit der Initiative Obama Pride zu sammeln versucht.

Obama betreibt mit seinem Vorstoß auch klassisches Agenda Setting. Mit einem einzigen, gut platzierten Interview ist es ihm gelungen, die innenpolitische Diskussion – zumindest vorübergehend – auf ein Thema zu lenken, das ihm mehr Chancen zur Mobilisierung von WählerInnen bietet als die Auseinandersetzung über die wirtschaftliche Lage der USA.

Dilemma für Romney

Damit bringt der US-Präsident seinen Gegenspieler Mitt Romney unter Zugzwang – denn dessen Kampagnendrehbuch sieht vor, den Amtsinhaber für die schlechte Wirtschaftslage verantwortlich zu machen. Eine Polarisierung rund um ein „wedge issue“ wie die „same-sex marriage“ kommt dem designierten Kandidaten der Republikaner dabei eher ungelegen. Denn für Romney sind LGBT-Themen ein Eiertanz, was nicht nur die kürzliche Entlassung eines hochrangigen schwulen Kampagnenmitarbeiters von ihm zeigte. Auch der Vorwurf, er hätte in seiner Highschool-Zeit einem schwulen Mitschüler die Haare abgeschnitten, bringt Romney in Verlegenheit. Und sein Vorwahl-Gegenspieler Rick Santorum erhöht den Druck auf Romney, indem er ihn auffordert, die Steilvorlage von Obama als „Waffe“ zu nutzen. Romneys Dilemma: Zieht er nicht entschlossen gegen die gleichgeschlechtliche Ehe ins Feld, wenden sich die aufgestachelten Evangelikalen enttäuscht von ihm ab. Tritt Romney aber zu vehement dagegen auf, schreckt er parteilose WählerInnen ab.

Obamas Schachzug ist auch vor dem Hintergrund zu betrachten, dass sich der Fokus seiner Kampagne zuletzt verändert hat. Statt Mitt Romney nur als „Flip-Flopper“ zu attackieren (was dem Ex-Gouverneur von Massachusetts im Vorwahlkampf bei der republikanischen Basis geschadet hat), wird er nun auch verstärkt als rückwärtsgewandter Konservativer dargestellt. Obama = Forward, Romney = Backward – auf diesen Kontrast zielt die Obama-Kampagne ab, wie auch das folgende Video deutlich macht:

Das Thema „same-sex marriage“ ist nur der Auftakt für weitere Gegenüberstellungen dieser Art – und damit ein erster „Proof of Concept“ für die Anwendbarkeit seiner „Forward“-Botschaft.

Base Strategy

Interessant ist, dass diese Strategie durchaus einige Parallelen zur Wiederwahlkampagne von George W. Bush im Jahr 2004 aufweist. Die von Bushs strategischem Mastermind Karl Rove geprägte „Base Strategy“ war maßgeblich darauf ausgerichtet, die eigenen AnhängerInnen zu mobilisieren, den politischen Gegner hart zu attackieren und mit zugkräftigen, polariserenden Themen wie der „nationalen Sicherheit“ die Diskussion zu bestimmen.

Es derartige Strategie konnte und kann nur deshalb erfolgreich sein, weil das politische Klima in den USA seit den 1970er-Jahren von einer deutlichen Polarisierung geprägt ist, wie z. B. eine sehr interessante Studie der RAND-Corporation ausführt. Ein Trend, der durch die auf dieser Erkenntnis aufbauenden Kampagnen wohl eher verstärkt werden dürfte.

Vor diesem Hintergrund macht es Sinn, dass Obama sich in einem Wahljahr mit gesellschaftspolitischen „heißen Eisen“ auf die Seite seiner AnhängerInnen stellt, statt seine Positionen etwas aufzuweichen und auf die politische Mitte abzuzielen. Denn ein Lagerwahlkampf ist für den US-Präsidenten viel eher zu gewinnen als eine Urabstimmung über seine mit uneinlösbaren Erwartungen begonnene Amtszeit. Die Leitformel dafür könnte vom deutschen Dichter Friedrich von Logau stammen: „In Gefahr und grosser Noth // Bringt der Mittel-Weg den Tod.“

Dieser Beitrag ist von Stefan Bachleitner

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2 Rückmeldungen zu “Strategy Sunday: Wie Bush, nur andersrum”

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  1. [...] empfänglich für Obamas beständigen „middle class“-Botschaften. Mit gesellschaftspolitischen „wedge issues“ wie der „same-sex marriage“ und zielgruppenspezifischen Themen wie der Verringerung von Studienkosten (die er konsequenterweise [...]

  2. [...] (urbanen) WählerInnengruppen wiederum mit gesellschaftspolitischen „wedge issues“ wie der „Ehe für alle“ (wo Clinton einen deutlichen Positionswechsel vollzogen hat) oder zielgruppenspezifischen Themen [...]


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